Von Kermashah nach Hamedan

Um 8.30 klingelt der Wecker, wie jeden Morgen. Und keine zwei Minuten später klopft es an der Zimmertür. Roland öffnet und vor ihm stehen zwei Damen. „Cleaning!“ meinen sie. Roland sagt etwas erstaunt „Äh yes, later“ und schließt die Tür wieder. Was soll das denn! Wir haben heute beide keine besonders gute Laune, sind vom gestrigen Tag noch geschlaucht, die Militärkontrolle hat vor allem mich mitgenommen und die Luft hier in Kermanshah ist unerträglich. Es riecht bereits morgens auf dem Balkon nach Benzol. Oder Öl oder Chemie. Die Seidenstraße haben wir uns anders vorgestellt.

Es ist es genauso diesig wie gestern und bereits nach ein paar hundert Metern Fahrt fangen unsere Augen an zu Tränen. Blöderweise wollen wir uns in der näheren Umgebung zwei Reliefs ansehen, sowie einen bedeutenden Ort der Seidenstraße mit Karawanserei.  Nach Taq-e Bostan fahren wir noch – es handelt sich hierbei um zwei Grotten mit Reliefs aus dem 4. Jahrhundert. Aber dann suchen wir das Weite und halten bis zum 160km entfernten Hamadan nur noch 1x an, um Wasser zu kaufen. An Bisotun rauschen wir auf der Schnellstraße vorbei. Es ärgert mich sehr, denn ich hätte das Relief und die Karawanserei gern gesehen. Mein Bauchgefühl sagt aber, dass wir hier so schnell wie möglich verschwinden sollten.

In Hamedan haben wir ein Hostel rausgesucht, wir haben genug von abgewohnten 4-Sterne-Hotels mit schlechtem Wifi und noch schlechterem Frühstück. Aber als wir dort ankommen, ist niemand da. Wir fahren in die Stadt zum Essen und bitten anschließend den Besitzer des kleinen Imbiss, sein Telefon benutzen zu dürfen. Roland macht eine Zeit aus und als wir vor dem Hostel stehen, öffnet wieder niemand. Roland spricht daraufhin den Nachbarn von gegenüber an, ob er uns helfen kann. Er spricht zwar kein Englisch, versteht aber unser Problem und ruft die Nummer vom Hostel an. Nach dem Gespräch bedeutet er uns, dass es eine Stunde dauert, bis jemand kommt und bittet uns in sein Haus. Zuerst lehnen wir ab, aber dann kommt eine ältere Dame im schwarzen Tschador gekleidet zu uns gelaufen und winkt uns herein. Sie lächelt dabei so nett, dass ich nicht ablehnen kann.

Kurz darauf sitzen wir mit 3 Frauen und 2 Männern und einem kleinen Mädchen im Wohnzimmer zusammen. Die ältere Dame deutet an, ich soll Jacke und Kopftuch ausziehen. Ich bin nicht sicher, aber auch die beiden Männer machen eine Handbewegung nach dem Motto: Nur keine Angst, runter damit. Also gut, ich bin froh, beides los zu sein. Dann zeigen sie mir das Bad und zuerst darf ich mir Hände und Gesicht waschen und dann Roland. Die Klimaanlage läuft auch Stufe 10 und man serviert uns ein Saftgetränk mit Crushed Ice. Keiner spricht Englisch, außer: Germany football out ohohoho. Keine Ahnung wie oft sich Roland das anhören musste in den letzten Tagen. Er reißt sich wie immer zusammen, lächelt und antwortet: But Iran also out ohohohoho. Wir stellen uns gegenseitig vor und einen Namen kann ich mir gut merken. Das kleine Mädchen heißt Anis, übersetzt „Liebe“. Was für ein wundervoller Name denke ich mir. Die Unterhaltung funktioniert ab jetzt nur noch über google translator und wir werden gefragt, wie lange wir schon im Iran sind, ob es und gefällt, wie lange wir bleiben, und was wir uns in Hamedan ansehen wollen. Wie immer ziehen wir in diesem Moment unseren Reiseführer heraus und zeigen auf die Sehenswürdigkeiten. Die Ali Sadr Höhle wird uns empfohlen. Sehr gut, denn dort wollen wir morgen hin.

Es klingelt an der Tür und es ist die Dame vom Hostel. Wir verabschieden uns, machen noch ein Foto und fahren mit den Bikes in den kleinen Innenhof vom Hostel. Es gefällt mir sofort. Der Innenhof ist zum Teil mit Kies aufgeschüttet, es gibt mehrere Sitzecken, eine Außenküche und einen kleinen Springbrunnen in der Mitte. Alle Wände sind bemalt oder mit bunten Ornamenten versehen und überall stehen Blumen und Pflanzen. Es wirkt sehr orientalisch und ich fühle mich sofort wohl. Wir bekommen ein Zimmer im Erdgeschoss, mit Kitchenette, Bad, Wohnzimmer und Schlafzimmer (klein und ohne Fenster, aber wir haben sowieso nicht vor uns dort lange aufzuhalten.) Die Besitzerin meint, ich darf hier rumlaufen, wie ich möchte, erveryone is free here. Begeistert ziehe ich das Kopftuch aus, werfe mich in Sommerhose und Tanktop und mache es mir auf der Bank vor unserem Zimmer gemütlich. Die Besitzerin wohnt mit ihren beiden Töchtern, 10 und 7 Jahre, im Haus nebenan, ihr Mann arbeitet als Sport-Lehrer in Teheran.

Um 20 Uhr gehen wir nochmal raus in die Innenstadt, genauer gesagt zum Basar. Im Gegensatz zu Tabriz herrscht hier richtiger Trubel. Es ist voll, Menschen drängeln sich kreuz und quer durch die Gänge. Die Händler preisen lautstark ihre Ware an, Mopeds bahnen sich hupend ihren Weg und sogar ein Taxi versucht zwischen den Obstständen voran zu kommen. Uns gefällt‘s und wir beschließen kurzerhand, nicht nur eine Nacht zu bleiben, sondern zwei und kaufen alles für ein ordentliches Frühstück ein. Eier, Pilze, Tomaten, Zwiebeln, Erdbeeren, gelbe Pflaumen, Milch, Orangensaft und lassen in einem kleinen Laden Espressobohnen frisch mahlen.

Auf dem Heimweg werden wir von zwei Mädels Mitte 20 angesprochen. Wir wurden von der Tante der beiden gesehen und sie möchte uns heute Abend zu sich einladen und wenn wir noch kein Hotel haben, sollen wir bei ihnen schlafen. Der Onkel der beiden arbeitet bei Amazon in Hamburg erzählen sie uns, sie lieben Deutschland und sie würden sich so sehr freuen, wenn wir heute Abend zu ihnen kommen. Es ist fast 23 Uhr und wir sind ehrlich gesagt zu müde und sagen ihnen das. Schade, denn nach der schönen Erfahrung von heute Nachmittag wäre ich eigentlich gern mitgegangen.

18 Uhr. 40° Celsius.

Der Tag beginnt, wie der gestrige geendet hat. Mit Blick auf die Festung. Der Wecker klingelt um 5:45 Uhr, wir wollen den Sonnenaufgang nicht verpassen. Es ist immer noch sehr frisch, sogar das Wasser in unseren Trinkflaschen ist wieder kalt. Nach dem Sonnenaufgangsspektakel legen wir uns nochmal kurz ins Zelt – wir sind eigentlich beide keine Frühaufsteher.

Gegen 9 Uhr frühstücken wir, es gibt Porridge mit Aprikosen und Kaffee aus der Bialetti. Mit jeder Minute wird es wärmer, aber nachdem unser Platz hier oben nicht einsehbar ist, laufe ich ungeniert und gegen alle iranischen Kleidervorschriften für Frauen in meinem Seidentop (Seide kühlt!), kurzer Hose und Flip Flops durch die Wiese.

Wir packen zusammen und fahren runter zum Parkplatz und den Waschanlagen, um unser Geschirr abzuspülen. Der Parkplatz hat sich inzwischen gut mit Autos gefüllt, es ist Freitag, für Iraner aber Sonntag und den einzig freien Tag nutzen sie oft für einen Ausflug mit der Familie. Interessanter als die Festung scheinen allerdings wir zu sein. Sofort hat sich wieder eine Traube Menschen um uns gebildet, es werden die üblichen Fragen gestellt und Selfies gemacht.

Unsere heutige Route führt uns weiter Richtung Süden, über Sanandaj nach Kermanshah durch die Provinz Kurdistan. Die Strecke ist anfangs sehr schön, sie führt durch das Zagros-Gebirge vorbei an türkisblauen Seen und durch goldgelbe Weizenfelder. Heute knacken wir die 6.000 km und ab jetzt bis 10.000 km mache ich die Beweisfotos.

Plötzlich ruft Roland: „Schildi, da ist eine Schildi auf dem Mittelstreifen.“ Ich bremse und komme direkt hinter hier zum Stehen, stelle mein Bike quasi in der Mitte der Fahrbahn ab. Die kleine Schildi krabbelt munter weiter Richtung Gegenverkehr. Ich springe ab, nehme sie hoch und trag sie zwischen den Autos auf die andere Straßenseite. Vorbeifahrende Lkw-Fahrer hupen und grüßen.

100 km vor Kermanshah wird der Himmel immer diesiger, irgendwann sind die Sonne und die umliegenden Berge hinter dickem Smog verschwunden. Immer mehr Lkws sind auf der Straße unterwegs und so kommen wir nur mühsam voran. Ständig müssen wir sie auf kurviger Strecke überholen.

Am späten Nachmittag halten wir an einem kleinen Imbiss an und essen eine Kleinigkeit. Ich bestelle anschließend noch einen Tee und bekomme ihn auf kurdische Art serviert. Ein kleines Glas wird auf einen tiefen Unterteller gestellt und es wird so viel Tee hinein geschüttet, dass er über das Glas in den Teller fließt. Man gießt dann selbst nach und nach den Tee aus dem Glas in den Teller, steckt sich ein Stück Würfelzucker in den Mund und schlürft den Tee. Lecker.

Kurz vor Kermanshah werden wir vom Militär kontrolliert. Nachdem sie unsere Reisepässe kopiert und irgendetwas notiert haben, dürfen wir nach 20 Minuten Warten endlich weiterfahren. Zu allem Überfluss zeigt das Thermometer auch noch 40°C – um 18 Uhr abends. Erschöpft erreichen wir um 20 Uhr unser Hotel. Ich finde gerade noch genug Kraft, unsere Wäsche zu waschen, Roland spannt wie immer die Leine quer durchs Zimmer und wir gehen schlafen.

Romantischer geht’s kaum.

Unser heutiges Ziel ist Takth-e Soleiman, eine Festung knapp 400km entfernt von Tabriz. Kurz nach Tabriz fahren wir an dem Salzsee Urmia vorbei, der seit den 1970ern fast 90% seiner Wasseroberfläche verloren hat. Dort wo früher Wasser war, findet man jetzt dicke Salzschichten. Eine Katastrophe für die Tier- und Pflanzenwelt und natürlich auch den Menschen. Soweit ich erfahren habe, gibt es seit Kurzem Bestrebungen, den Wasserstand des Sees wieder zu erhöhen. Hoffen wir, dass das funktioniert.

Auf der Weiterfahrt Richtung Süden bleiben wir ein paar Mal stehen, um unsere Wasservorräte aufzufüllen. Kaum haben wir angehalten, sind wir umringt von Menschen, die alles Mögliche wissen wollen: Wo wir herkommen, ob uns der Iran gefällt, ganz wichtig auch, wie viele Zylinder unsere Motorräder haben und wieviel Kubik. Sie machen Selfies und wollen unseren Instagram Account wissen. Roland ist froh, dass er hat keinen und sie zu mir schicken kann.

Kurz vor Takht-e Soleiman kaufen wir Vorräte ein. Pasta mit Tomatensauce für heute Abend, Milch, Orangensaft und eingelegt Aprikosen für das Frühstück morgen. Als wir bei der Festung ankommen, entdeckt Roland einen Hügel in unmittelbarer Nähe. Wir fahren mit unseren Bikes hinauf und bauen oben unser Zelt auf. Es ist der perfekte Platz – von unten sieht uns keiner, aber wir haben den direkten Blick auf den Sonnenuntergang hinter der Festung.

Nachdem die Sonne untergegangen ist, wird es tatsächlich kühler, immerhin haben wir unser Nachtlager auf 2.230m aufgeschlagen. Wir sitzen satt und zufrieden auf unseren Campingstühlen, schauen auf die mittlerweile beleuchtete Festungsmauer und immer mehr Sterne erscheinen am Himmel – wir können uns momentan keinen schöneren Ort vorstellen. Lediglich ein kühles Bier in der Hand könnte dem Abend noch die Krone aufsetzen.