Am Aralsee

Überraschung! Roland hat eine Route an den Aralsee geplant. Und zwar bis ans Wasser. Quasi als Entschädigung dafür, dass wir nicht durch Usbekistan gefahren sind und dort an den Schiffsfriedhof, den ich ja unbedingt sehen wollte. Aber zuerst frühstücken wir, mitten in der kasachischen Wüste mit Blick auf die in der Ferne vorbeifahrenden Züge. Wir sind zuerst knapp 100 km auf der Hauptstraße unterwegs und biegen dann nach Westen auf eine kleinere Straße ab. Die Landschaft wird schlagartig grüner, wir fahren an einem tiefblauen See vorbei, Pferde weiden zwischen Bäumen, Kühe liegen auf einer Wiese. Wie toll, so grün hatte ich mir Kasachstan gar nicht vorgestellt.

So plötzlich wie diese Oase aufgetaucht ist, so schnell ist sie auch wieder weg, kaum dass wir den See verlassen haben. Wir folgen nun einem Offroadtrack, keine Spur mehr von Leben. Nur Sand und Steine. Es ist heiss aber erträglich. Nach einer Stunde sehen wir das erste Dorf. Auch nach so vielen tausend Kilometern durch das wilde Zentralasien wundere ich mich immer noch, wenn im hinterletzten Eck auf einmal Zivilisation auftaucht. Der Ort besteht aus ein paar alten Häusern vor denen kaputte Autos stehen und… Kamele. Kurze Freude! Ich liebe Kamele einfach. Die Straße durch das Dorf ist sandig und als wir durch sind, meint Roland wir haben uns verfahren und müssen wieder zurück. Also kämpfe ich mich nochmal durch den Sand und als ich mit Zicki wegrutsche, helfen mir ein paar Jungs und ein älterer Mann wieder auf. Roland hat inzwischen nach dem Weg gefragt (unglaublich aber wahr) und wir biegen links ab.

Die Straße führt weiter ins Nirgendwo. Eine weitere Stunde vergeht. Kein Anzeichen dafür, dass hier bald wieder Wasser kommt. Wobei mein Navi anzeigt, dass wir uns bereits mitten im Aralsee befinden müssten. Aber um uns herum nur Wüste. Die Straße wird immer ekelhafter, besteht nur noch aus tiefen Furchen und Schlaglöchern. Im nächsten Dorf versuchen wir wieder nach dem Weg zu fragen, aber die Menschen hier verstehen gar nichts. Selbst als wir nach Wasser fragen, auf Russisch und auf die leere Flasche zeigen, schauen uns die Männer an wie Autos und sagen keinen Ton. Es ist fast etwas gespenstisch. Warum reden sie nicht mit uns? Vielleicht denken sie sich, was will die Alte, hat doch nen 5l Kanister hinter sich auf dem Moped. Wenn sie mit mir reden würden, hätte ich ihnen gern erklärt, dass 5l nicht reichen, falls wie hier irgendwo übernachten müssen, weil wir den blöden See nicht finden. Aber nachdem dieses Gespräch nur in meinem Kopf stattfindet, setzen wir unsere Fahrt erfolglos fort.

Nachdem wir mit Rolands Route leider nicht weiter kommen, bleiben wir nach dem unheimlichen Dorf kurz stehen und ich gebe in Mapsme den Kokaral Damm ein, der am südlichen Ende des nördlichen Aralsee sein soll. 45km sind es bis dorthin. Es ist bereits Nachmittag. Wer weiss, wie lange wir bis zum Damm brauchen und dann müssen wir auch wieder zurück. Wir überlegen kurz ob wir uns das wirklich antun wollen, aber die Neugier siegt. Wir wollen den Aralsee, das Wasser, sehen.

Die folgenden 45 km sind die unangenehmsten Kilometer auf der ganzen bisherigen Reise. Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera, dem übelsten Waschbrett oder Sand neben dem Waschbrett. Wir fahren beides, für mehr Abwechslung. Ein Jeep kommt uns entgegen, ein anderes überholt uns. Die Frage, was die Männer hier machen spare ich mir. Roland hat bei einer Pinkelpause Schrotpatronen gefunden. Die Männer sind bestimmt Jäger, ob legal oder illegal weiß ich nicht. Auf jeden Fall winken sie uns nicht freudestrahlend zu aus ihren Autos.

Endlich verändert sich die Landschaft um uns herum, es wird grüner, hohes Gras und Sträucher, wir sehen Enten und Reiher. Neben der Fahrbahn liegt ein kleines Holzboot. Der See kann nicht mehr weit sein. Aber wie oft hab ich das heute schon gedacht… Dann tatsächlich um 17 Uhr haben wir es geschafft, wir sehen den Damm und das Wasser! Was bin ich happy. Es gibt ihn noch, den Aralsee. Ein paar Männer in Fischerhose stehen auf dem Damm, im Wasser sehen wir mehrere kleinere Boote, auf denen Fischer ihre Netze einholen. Fotografiert werden wollen sie nicht. Warum wohl.

Viel Zeit haben wir nicht, wir möchten zurück zu dem ersten See dort zelten und geben Gas. Der Rückweg fühlt sich immer irgendwie schneller an, finde ich. So auch heute. Wir fetzen über das Arschbrett, hinter uns geht die Sonne unter. Auf einmal scheuchen wir – unabsichtlich – eine große Herde Pferden auf. Zuerst galoppieren sie links von uns durch das hohe Gras, dann queren sie die Fahrbahn und rasen im gestreckten Galopp für ein paar hundert Meter direkt vor uns her. Ihre Hufe trommeln auf die harte Fahrbahn und werfen Dreck und Staub auf. Ich fühl mich wie in einem Wildwestern Film und kanns kaum glauben! Die GoPro hab ich längst angemacht, trotz Waschbrett hole ich mein Handy raus und filme mit der linken Hand und versuche gleichmäßig Gas zu geben. Ich möchte dieses unglaubliche Ereignis so gut wie möglich festhalten. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, ob wir in Kirgisistan oder hier in Kasachstan mehr Pferde gesehen habe. Dieses Ereignis ist auf jeden Fall einmalig, da sind Roland und ich uns einig. Einfach unglaublich!

Irgendwann erreichen wir wieder den Asphalt. Auf einer Brücke stehen dekorierte Jeeps, eine Hochzeitsgesellschaft macht Fotos. Sie stoppen uns und wir sollen mit Braut und Bräutigam ein Foto machen. Oh Gott so wie ich aussehe? Seit Tagen ohne Dusche, in den dreckigen Klamotten? Ich versuche meine Helmfrisur in den Griff zu kriegen und wir gehen zum Brautpaar. Ich stehe neben der Braut und hoffe inständig, dass mein Dreck nicht auf ihr Prinzessinnenkleid rüber springt. Es wird gefilmt und fotografiert, wir bekommen ein alkoholfreies Getränk zum Anstoßen und fahren wieder weiter. Ich war so durch den Wind, dass ich total vergessen habe, dem Fotograf mein Handy zu geben. Es gibt leider kein Foto von uns und dem Brautpaar.

Wir schaffen es gerade rechtzeitig zum See, um im Hellen unser Zelt aufzubauen und den Sonnentuntergang zu genießen. Der Platz ist herrlich, wir zelten am Sandstrand, weit weg von der Straße. Nur die vielen Mücken hier sind eine Plage und nerven so sehr, dass ich mich relativ schnell ins Zelt verziehe.

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