Greece Rally Tag 7: Ein dramatisches Finale

Der letzte Fahrtag. 120 km Enduro-Etappe. Gestern Abend hatte die Rennleitung kurzfristig beschlossen, dass ich 10 Minuten vor den Männern starten soll. So könnte man mir im Zweifel helfen, wenn das Bike Mal wieder kopfüber in einer Kurve oder Furche liegt.

Die Liaison zur 120 km-Sonderprüfung ist kurz, keine 9 km und ich fahre zusammen mit Tobi Ebster hin, der als 2. startet. Ich bin ultra nervös und verschwinde kurz vor meiner Startzeit um 9:50 nochmal im Gebüsch für ein Panik-Pipi.

Dann der Schock als ich starten soll – meine Beta springt nicht mehr an. Ich bin wie gelähmt aber Tobi reagiert sofort, schnappt sich das Bike, rollt bergab, zwei andere Fahrer schieben kräftig an und der Motor heult auf. „Gib ordentlich Gas!“ schreit mir Tobi hinterher, als ich über die Startlinie fahre.

Mit dem Wissen, dass mich bald die ersten  schnellen Fahrer einholen werden, gebe ich mehr Gas als sonst. Und die ersten 7 km bleibe ich auf Platz 1, dann brettert Svitko an mir vorbei. Tobi bei Kilometer 12, kurz darauf Arunas. Immerhin 12 km lang stand ich auf dem Treppchen.

Die heutige Strecke liegt mir viel besser als die Etappe von gestern. Es ist  abwechslungsreicher und technisch anspruchsvoller. Nach einem kurzen Stück Schotter-Highway bergab geht es auf einem schmalen Single-Trail durch den Wald und mittlerweile ducke ich mich nicht mehr vor jedem Ast, der über dem Weg hängt. Einfach volle Kanne durchfahren. Nicht an Geschwindigkeit verlieren. Der Helm hält das schon aus. Bisher haben mich nur drei weitere Fahrer überholt was mich weiter anspornt am Gas zu bleiben und so fahre ich nach einer Kurve aus Versehen gerade aus steil den Berg hoch anstatt nach rechts weiter auf dem Track. Verdammt. Ich muss das Bike rückwärts 20m runter rollen. Da höre ich Motorgeräusche und kurze Zeit später rast Wolfgang Payr links neben mir den Berg hoch. Mein wildes Gefuchtel hat er nicht gesehen, die drei anderen Fahrer, u.a. Michele aus Mailand, hinter ihm schon. Sie nehmen den richtigen Weg und sind jetzt vor Wolfgang. Wolfgang dreht sein Bike in Windeseile und fragt, ob ich Hilfe brauche. Ich winke ab. Er düst weiter. Es dauert fünf Minuten und kostet mich einiges an Kraft, bis ich mein Bike sicher unten habe und weiter fahren kann. Ich ärger mich sehr über den Fehler und versuche, wieder in meinen Rhythmus zu kommen. Es dauert nicht lange, dann werde ich wieder von Michele überholt. Und nach ein paar Kilometern und Kreuzungen erneut. Navigation scheint heute nicht so seine Stärke zu sein, aber ich freue mich, dass ich zum ersten Mal so richtiges Rennfeeling erlebe. Denn der schnellste Fahrer ist nicht unbedingt der beste und so bin ich wieder hoch motiviert, heute endlich Mal einen guten Platz im hinteren Mittelfeld zu belegen. Ich verkneife mir sogar sehr lange die erste Bio-Pause. Erst als ich es wirklich nicht mehr aushalte, bleibe ich kurz stehen um zu piseln und gleichzeitig einen Energieriegel zu essen. Nur keine Zeit verlieren.

Dann bei Kilometer 60 übersehe ich eine vertikale Spurrille, mein Vorderrad klappt weg und ich knalle bei ca. 40 km/h mit der rechten Seite auf den harten Waldboden. Ich drehe noch im Liegen den Kopf, kein Fahrer hinter mir. Ich springe auf, hebe das Bike, starte es und fahre los. Sofort merke ich, dass die Gabel leicht verbogen ist. Egal. Ich muss weiter. Jetzt spüre ich auch einen leichten Schmerz in der rechten Schulter. Egal. Ich muss weiter.

Die nächsten 20 Kilometer sind sehr schwer zu fahren, immer wieder geht es über steinige Passagen bergauf, dann auf meist sehr engen und ebenfalls steinigen Pfaden bergab. In einer engen Kurve kippt mir das Bike. Ich hebe es auf. Zwei Kurven weiter nochmal. Die Beta liegt wieder. Ich höre ein Motorrad über mir, als der Fahrer in Sichtweite ist, brülle ich so laut es geht, damit er mich wahrnimmt und nicht in mich rein fährt. Als ich die Beta aus der Kurve schiebe, merke ich, dass sie Kühlflüssigkeit verliert. Es tropft nicht nur, es läuft wie ein Wasserhahn. Und sie dampft wie ein Wasserkessel. In meiner Verzweiflung rufe ich meinen Mechaniker Luki an. Er sagt, ich soll Wasser nachfüllen aber ich bekomme den blöden Deckel nicht abgeschraubt. Fünf weitere Fahrer düsen an mir vorbei. Ich könnte heulen und versetze der Beta einen wütenden Tritt.

80 Kilometer lief alles wunderbar (ok, bis auf den Sturz) und jetzt zickt das Bike. Ich ärgere mich unglaublich und will gerade  weiterfahren, da kommen Jörg und der Marshall Nikos um die Ecke. Sie bilden das Schlusslicht. D.h. ich bin wieder am Ende angekommen. Nikos sagt, dass in 200m ein Wassertank ist und ich dort den Kühler auffüllen kann. Und dass das Stück bergab jetzt der steilste und schwierigste Part ist. Mein größtes Problem beim Downhill ist, dass ich mit den Händen verkrampfe und den Lenker so stark festhalte, dass sich das Vorderrad nicht frei bewegen kann. Ich falle erneut. Nikos sieht, dass ich am Ende bin und bietet mir an, mein Bike die letzten 100m runter zu fahren. Ich soll laufen. Am Wassertank angekommen schraubt er den Deckel vom Kühlflüssigkeitsbehälter ab, ich fülle Wasser nach und fahre weiter. Nikos folgt mir.

Ich bin körperlich erledigt, will aber die verlorene Zeit so gut es geht aufholen. Die Strecke durch den Wald ist ein Traum, der Boden griffig und wo ich kann, schneide ich die Kurven. Kampflinie. Keine Ahnung, woher ich die Motivation und Kraft nehme, in einem so hohen Tempo weiterzufahren. Bis zu Kilometer 86, als mein Bike auf einmal ausgeht. Und nicht mehr anspringt. Mir bleibt das Herz stehen. Das darf nicht sein. 30 km vor dem Ziel. Nichts geht mehr, die Beta macht keinen Mucks und ich weiß sofort, was los ist, denn ich hatte das gleiche Problem bei unserer ersten Testfahrt vor der Rally. Im Kabelbaum ist ein Anschluss kaputt. Die Batterie hat keinen Ladestrom und wird leer gesaugt. Und so ist es – die Batterie zeigt „Low“ an. Ich fange an zu heulen. Aus Verzweiflung, Wut, Erschöpfung. Die Emotionen gehen mit mir durch. Ich bin jeden Tag durchs Ziel gekommen. Sechs Tage lang. Und jetzt, am 7. und letzten Tag der Rally soll 30 km vor dem Ziel Schluss sein? Ich rufe wieder Luki an und erzähle ihm unter Tränen, was passiert und flehe ihn an, herzukommen und mein Bike zu richten. Ich will heute durchs Ziel fahren. Ich will kein DNF (did not finish) in der Ergebnisliste. Kein Abschleppen mit dem Trailer ins Camp, keinen Walk of Shame. Luki willigt ein und ich schicke ihm meinen Standort. Nikos will die Batterie seiner KTM in die Beta einbauen und ich gebe ihm mein Werkzeug. Aber auch mit seiner Batterie springt die Beta nicht an. Er versucht es mit Ankicken. Kein Erfolg. Nikos tropft der Schweiß von der Stirn und ich erkläre ihm, dass es ein Problem mit dem Kabelbaum ist, aber er will es nochmal mit anschieben versuchen. Rumsitzen und warten ist für ihn keine Option. Nach unendlich langen 30 Minuten kommt endlich Luki. Er baut den Tank ab und findet das kaputte Kabel. Löten geht hier natürlich nicht also drückt er die losen Enden mit einer Zange so fest es geht zusammen, baut den Tank wieder auf und die Beta startet. Ich packe das Werkzeug in meinen Rucksack, setze meinen Helm auf und fahre zu Nikos. Er konnte seine KTM mit dem Kickstarter antreten, sieht mich an und sagt: „Go Pam, finish the f*cking race.“

Ich mobilisiere nochmal alle meine Kräfte und jage über die Schotterstraßen schneller denn je. „Where there is a will, there is a way!“ ist das Motto dieser Rally und in keinem Moment hat das für mich besser gepasst als jetzt. Mir tut alles weh. Schulter, Knie, Hände. Jeder Muskel, jedes Gelenk in meinem Körper bettelt, dass ich aufhöre. Aber mein Wille, dieses Rennen zu Ende fahren, hat die Kontrolle über meinen erschöpften Körper übernommen. Wie in Trance stehe ich auf dem Bike und habe das Ziel fest vor Augen. Kaum zu glauben, aber ich muss sogar kurz lächeln, weil ich so glücklich bin, dass ich weiter fahren kann. Bei 118 km erreichen wir Asphalt und kurz bevor es wieder auf den Track gehen soll, stirbt die Beta erneut ab. 10 km sind es bis zum Ziel. Mein Bike springt nicht mehr an. Nikos hält neben mir und mir wird schlagartig klar, dass das jetzt das Ende ist. „Same Problem?“ fragt er mich. Ich nicke und habe wieder Tränen in den Augen aber akzeptiere diesmal die Niederlage. Ich kann es nicht mehr ändern. Mit meinem Zurrgurt schleppt mich Nikos zum Hotel. Ich bedanke mich und entschuldige mich mehrmals bei Nikos. „No, I am sorry for you“ sagt Nikos. „Because for me you are Champion.“ In der Ergebnisliste steht später das von mir so gefürchte DNF. Trotzdem erlebe ich bei der Siegerehrung später eine große Überraschung.

Noch am selben Abend findet die Siegerehrung statt. Dass ich eine Trophäe für den 1. Platz der Damen erhalte, war von Anfang an klar. Und irgendwie hatte es einen fahlen Beigeschmack, weil ich ja die einzige Starterin war. Also keine große Leistung, könnte man meinen. Ich hatte ein paar Tage Zeit, darüber nachzudenken. Für mich bedeutet der 1. Platz nicht, dass ich die beste oder schnellste Fahrerin war. Das wäre ja auch Blödsinn, denn es gab keinen Vergleich. Ich sehe den 1. Platz als Auszeichnung, dass ich den Mut hatte, hier als Anfängerin teilzunehmen, jeden Tag zu starten und es geschafft habe, insgesamt 1000 km Offroad zu bewältigen. Bei einer sehr anspruchsvollen Rally auf Factory-Level, die professionelle Dakar-Fahrer als Training nutzen. Und deswegen freue ich mich über die Trophäe für den 1. Platz der Damen genauso wie über den 3. Platz (von 4!) in der Klasse 300 bis 399 ccm. Den ich überhaupt nicht auf dem Schirm hatte und der mich für kurze Zeit das dramatische Ende des heutigen Fahrtags vergessen ließ.

Im Overall-Ranking habe ich es übrigens auf Platz 26 von 30 Startern geschafft.

Für mich steht jetzt schon fest, dass ich nächstes Jahr wieder eine oder vielleicht sogar zwei Rallies fahren werde. Aber davor muss sich Luki ganz intensiv um meine Beta kümmern.

Fotos: Matteo Longobardi

 

Greece Rally Tag 6 – es geht auch ohne Sturz

Die heutige Etappe beträgt 217 km. Bereits bei Kilometer 6 verfahre ich mich, finde aber nach einigen Verwirrungen wieder auf die richtige Strecke. Trotzdem ist die Luft raus, denn ich habe den Anschluss verloren und alle fünf Fahrer, die hinter mir gestartet sind, haben mich überholt.

Die Strecke ist irgendwie langweiliger als gestern. Die meiste Zeit geht es auf breiten, kurvigen Pisten dahin aber der feine Sand auf dem harten Boden ist so tückisch, dass ich mich nicht traue, viel Gas zu geben. Ich kann mir gut vorstellen, wie die Profis auf den langen Geraden mit Geschwindigkeiten von weit über 100 unterwegs sind und das Bike um die Kurven driften, ich dagegen dümpel wie ein Anfänger vor mich hin. Allerdings möchte ich keinen Sturz riskieren, da ich die gesamten 210 km lang komplett alleine unterwegs bin. Gefühlt ist es heute mehr eine Abenteuer-Reise als ein Race. Die wenigen Enduro-Passagen meistere ich ohne Drama.

Zum Glück gibt es alle 30 bis 40 Kilometer Streckenposten, die mich anfeuern, sonst wäre ich vermutlich total eingeschlafen. Tatsächlich empfinde ich die Betreuung nicht nur deswegen als sehr positiv. Ich habe seit Beginn der Rally das Gefühl, dass sich das Orga-Team ganz besonders rührend um mich kümmert und auf mich Acht gibt.

Nach ca. 2/3 der Etappe treffe ich im Wald auf den Fahrer Marc aus England und den Marshall Nikos. Ich halte an und will wissen, was passiert ist, denn ich sehe nur ein Motorrad. Marc zeigt in den Abgrund und sagt, dass seine Enduro 40 m weiter unten steht. Ich traue meinen Augen kaum, als ich hinab sehe. Wie kommt die da runter will ich wissen? Marc erzählt, dass er vor der langen matschigen Pfütze, durch die ich eben durchgefahren bin, zu lange aufs Roadbook geschaut hat. Er hat die Pfütze nicht gesehen, die Kontrolle verloren ist gestürzt und das Bike ist den Abhang runter geschlittert. Er selbst konnte sich vom Bike lösen und ist zum Glück „oben“ geblieben. Ich schaue nochmal runter. Das Motorrad ist so weit weg und winzig, dass ich nicht Mal das Modell erkenne. Ich verabschiede mich und fahre weiter ohne weitere Unterbrechungen. Kurz nach 17 Uhr komme ich endlich ins Ziel – 4 Stunden nach dem Erstplatzierten. Aber ich habe die komplette Etappe geschafft – ohne einen einzigen Sturz oder Umfaller.

Fotos: Matteo Longobardi, Alexandros Sougiannis

Greece Rally Tag 3: Marathon-Etappe

Wie die Überschrift vermuten lässt, steht heute die längste Etappe der Greece Rally an. Die Marathon-Etappe mit 300 km Sonderprüfung. Der Wecker klingelt um 5:45 Uhr. Es ist so dunkel draußen, dass ich Zweifel daran habe, dass es jemals wieder Tag werden wird. Ich bin absolut kein Morgenmensch. Aufstehen ist eine Qual für mich und weil ich wusste, dass bei der Rally auch zu unchristlichen Uhrzeiten gestartet wird, habe ich Zuhause extra „frühes Aufstehen“ trainiert. Statt auf 8 Uhr hatte ich meinen Wecker auf 6:30 Uhr gestellt und weil ich nicht wusste, was ich mit der freien Zeit anfangen sollte, war ich regelmäßig am Main joggen, um meine Kondition zu verbessern – uns habe damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Zum Glück irre ich mich, und es wird doch langsam hell, während ich meinen Klim-Rucksack packe und mich anziehe. Die Liaison (so nennt man den Hin- und Rückweg zur Sonderprüfung bzw. Wertungsetappe) beträgt heute knapp 80 km und verläuft fast ausschließlich auf Asphalt. Gestern beim Briefing hieß es, wir sollen ca. 1,5 Stunden dafür einplanen. Jörg, Timo, Wolfgang, Tobi und ich fahren gemeinsam um kurz nach 7 Uhr los. Die Jungs jammern ein bisschen über die lange Anreise. Mir macht es überhaupt nichts aus, denn ich bin es ja gewohnt, viele Stunden auf dem Bike zu sitzen und dank meiner gepolsterten Ortema-Protektorenhose ist es selbst auf der schmalen und harten Enduro-Sitzbank nicht unbequem. Da wir Richtung Osten fahren, werden wir zudem mit einem unglaublichen Sonnenaufgang belohnt. Im letzten Ort vor dem Start tanken wir und hoch motiviert und gut gelaunt erreiche ich den Start.

Das Wetter ist perfekt. Sonnig, aber nicht zu warm. Als ich bei Kilometer 24 das erste Mal kurz im Gebüsch verschwinde, sehe ich Rudi aus Österreich vorbei fahren. Ich ziehe mich hastig an, düse los und schaffe es tatsächlich, ihn einzuholen. Von da an fahren wir zusammen was sich relativ schnell als äußerst vorteilhaft für mich herausstellt.

Die Strecke macht unglaublich viel Spaß, da sie sehr abwechslungsreich ist und wir uns nach ein paar Kilometern Schotter-Highway tief im Wald auf einem schmalen und abenteurlichen Single-Trail befinden. Links der Berg, rechts ein Abhang. Immer wieder müssen wir durch matschige Senken fahren, die irgendwann so groß und tief und matschig sind, dass ich mich nur noch traue, im Standgas und mit einem Bein am Boden „durchzulaufen“. Bei der letzten Senke kippt das Bike nach links (also Richtung Berg) und Rudi hilft mir, sie wieder aufzustellen. Weiter geht’s.

Irgendwann verlassen wir den Wald und gelangen wieder auf eine breitere Schotterpiste, der wir für einige Kilometer folgen. Vor einer Kurve sehe ich das Bike des Fotografen. Matteo selbst steht an einem breiten Wasserloch. Ich gebe Gas, ersten weil ich Wasserdurchfahrten liebe und zweitens weil die Bilder immer spektakulär aussehen. Das Wasserloch ist so tief, dass ich mit der gesamten Front eintauche und meine Hände komplett unter Wasser sind. Damit habe ich nicht gerechnet und ich bleibe direkt nach dem Wasserloch stehen. Ich bin pitschnass und das Wasser riecht nicht gerade lecker aber ich lache und quieke vor Freude.

Bald müssen wir wieder in die Vegetation auf einen kaum erkennbaren Pfad zwischen Bäumen abbiegen und querfeldein weiterfahren. Wir haben bisher knapp die Hälfte der Etappe zurückgelegt und alles fühlt sich prima an. Bis auf einmal meine Beta mitten unterm Fahren ausgeht und erst nach mehreren Versuchen wieder anspringt. Oh oh. Mach jetzt nur keinen Blödsinn denke ich mir. Ich bedeute Rudi anzuhalten und erkläre ihm, was passiert ist. Rudi spult im Roadbook vor und meint, dass in 15 km eine Tankstelle kommt. Na das schafft die Beta hoffentlich, sage ich und fahre los. Dass diese 15 km die härtesten des ganzen Tages werden, damit habe ich nicht gerechnet – hätte ich mir aber eigentlich denken können, denn wir stehen immer noch hoch oben am Berg. Wenn es nur noch 15 km bis ins Tal sind, dann muss es bald sehr, sehr steil bergab gehen.

Wir sind immer noch querfeldein unterwegs und so langsam wird der Untergrund richtig steinig. Überall große Brocken, als wäre ein riesiger Berg explodiert und die Einzelteile liegen jetzt verstreut auf der Wiese. Zuerst klappt es noch, die kindskopfgroßen Steine zu umfahren. Irgendwann verschwindet die Wiese und es hat sich ein richtiger Steinteppich gebildet. Ausweichen unmöglich, ich muss da drüber. Vorsichtig im zweiten Gang.

Und dann geht’s bergab. Steil. Mit Spitzkehren. Ausschließlich über Steine. Ich fahre so gleichmäßig wie möglich, nutze die Kupplung, um meine Geschwindigkeit zu regulieren und schaue extra weit voraus, um mir einen geeigneten Weg über die „Rolling Stones“ – wie es im Roadbook steht – zu suchen. Und um nicht sehen zu müssen, über was für riesen Felsen ich drüber fahre.

In einer Spitzkehre kippt das Bike nach innen, eine andere Kehre ist so steil und eng, dass ich zuerst aus der Kurve rausfahre und dann das Bike rückwärts wende. Was für ein Elend.

Noch 5 km und kein Ende der Steinpiste in Sicht. Meine Kupplungshand schmerzt und ich will in der nächsten Kurve eine andere Technik versuchen, nämlich das Bike um die Kurve zu laufen. Blöde Idee. Ich steige ab, gehe einen Meter, da kommt mir die Kupplung aus und die Beta macht einen großen Satz nach vorn. Gott sei Dank geht sie aus und bleibt direkt vor dem Abgrund liegen. Das war knapp. Uiuiui, fast hätte ich mit meiner eigenen Blödheit auf die Schnelle 8.000 € vernichtet.

Wir heben das Bike auf und fahren weiter. Kurz bevor wir endlich das Tal erreichen, kommt uns ein Motorradfahrer entgegen. Es ist der Marshall Nikos, der nach uns gesucht hat. An der Tankstelle treffen wir auf das Orga-Team und während ich tanke erklärt Alex, dass genau wie gestern die Zeit nicht mehr ausreicht, dass wir die komplette Etappe zu Ende fahren. Er ist mit dem Bike da und würde uns auf eine Abkürzung führen, mit der wir ca. 50 km einsparen und später können wir wieder nach Roadbook fahren. Ich bin etwas enttäuscht, denn auch wenn ich eben völlig am Ende war, hat die kurze Pause mir wieder Energie gegeben. Und ich habe keine Lust auf Asphalt. Alex sagt, es muss sein.

Zu meiner Überraschung biegen wir auf der anderen Seite der Tankstelle auf einen Track ab und fahren die nächsten zwei Stunden eine wunderbare Offroadpiste. Alex gibt ordentlich Gas und bereits nach der zweiten Kurve ist er verschwunden. Ich sehe nur noch eine riesige Staubwolke und folge Alex so schnell es geht. Immer weiter geht’s bergauf, Mal ist der Track wieder heftig steinig, Mal jagen wir über Wiesen bis wir über den Berg sind und es auf der anderen Seite talabwärts geht. Ich hab so viel Spaß, eine schönere Abkürzung hätte ich mir nicht vorstellen können. Und als Alex dann auch noch – etwas überrascht – zugibt, dass ich ja gar keine schlechte Fahrerin bin, bin ich mehr als happy. So ein Kompliment von einem ehemaligen Enduro-Rennfahrer hört man doch gern. Zufrieden fahre ich um 15:30 durchs Ziel Und mache mich, nachdem meine Ankunftszeit auf der Zeitkarte vermerkt wurde, auf den langen Rückweg ins Camp.

Dort übergebe ich Luki das Bike zur Durchsicht, gebe meine Zeitkarte und das Roadbook ab und erhalte das Roadbook für den morgigen Tag. Es sind nur 105 km. Hoffentlich schaffe ich es, die morgige Etappe komplett durchzufahren.

 

Fotos: Matteo Longobardi, Alexandros Sougiannis

Einreise nach Albanien / zwei Tage am Meer

In der Nähe von Konitsa könnte man auch nach Albanien einreisen, wir möchten aber gern die sagenhafte Bergstrecke von gestern zu Ende fahren. Nach einer einstündigen, wilden Kurvenjagd überqueren wir bei Kakavija die Grenze. Und in Albanien geht’s genauso weiter: Kurve links, Kurve rechts. Wir fahren nicht einen Meter geradeaus. Als man in Albanien Straßen gebaut hat, waren alle geraden Stücke dieser Welt bereits vergeben, vermute ich.

Albanien ist unter Motorradreisenden und Pauschaltouristen schon länger kein Geheimtipp mehr. An der Küste findet man eine Vielzahl von Hotels, Restaurants und Bars. Es gibt Sand und Kiesstrände, die wunderbar sauber sind und auch das Meer ist klar. Ich kann mir gut vorstellen, dass es im August hier proppevoll ist, aber da die Sommer-Ferienzeit glücklicherweise vorbei ist, wirkt alles etwas eingeschlafen.

Wir fahren weiter bis Himarä, einem kleinen Küstenort, wo wir uns in der Pension „Billy“ ein Zimmer nehmen. Zu der Pension gehört ein kleines Restaurant und bevor wir uns ins Meer stürzen, essen wir Pasta. Das erste Mal Pasta Napoli, die ich nicht über dem Benzinkocher selbst zubereitet habe. Was für ein Luxus und es schmeckt großartig. Da wir in der Pension außerdem unsere gesamte Schmutzwäsche waschen lassen können, beschließen wir, zwei Nächte hier zu bleiben.

Den nächsten Tag verbringen wir zuerst am Strand, wo Roland den Albaner Armand kennenlernt, der hauptsächlich Fahrrad- aber auch Motorradtouren organisiert. Er möchte uns heute Abend ein paar Routentipps geben und Roland verabredet sich mit ihm in seinem Hotel. Vorher mieten wir uns ein Kanu am Strand und rudern die Küste ab. Zwei Segelboote, Typ Weltumsegler, liegen an Bojen, zwei Jugendliche auf einem Jetski fahren hin und her, ansonsten ist hier nix los. Ein ruhiges und entspanntes Albanien.

Als Roland abends von seinem Treffen mit dem Tourguide Armand zurückkommt, strahlt er bis über beide Ohren. Wahnsinn, ich hab eine Tour für die nächsten drei Tage, die haut dich um, sagt er. Von Albanien, nach Mazedonien, wieder zurück nach Albanien bis Montenegro. Pässe, Offroad, Fjorde und Fähre. Alles dabei. Das wird großartig!