Ende gut, alles gut.

Wir werden von einem zarten Miau geweckt. Als wir die Tür öffnen, sitzen drei Katzen davor und schauen neugierig ins Zimmer.

Mohammed und Mina machen uns Frühstück und nach einem kurzen Telefonat haben wir die Bestätigung, dass wir unser Visum gegen 13 Uhr abholen können! Wir sind unglaublich erleichtert.

Vorher machen wir eine kurze Stadtrundfahrt mit dem Auto und gehen in einem großen Park spazieren. Es ist der iranische Sonntag – also Freitag – und viele Iraner gehen ihrer Lieblingsbeschäftigung nach: Volleyball spielen. Überall im Park sind Netze aufgespannt. Seit ein paar Jahren ist die iranische Volleyball-Nationalmannschaft sehr erfolgreich und die Leidenschaft ist auf die Bevölkerung übergegangen.

Als wir an einem Riesenrad vorbeilaufen, bleiben Roland und ich stehen. Wir denken beide das gleiche: Ozapft is. Wie gern hätten wir jetzt eine kühle Maß in der Hand.

Punkt 13 Uhr treffen wir unseren Kontakt in Mashhad und Roland strahlt über beide Ohren, als er unser Pässe mit den Visa in der Hand hält. Unser Abenteuer kann weitergehen!

Wir fahren zu Mohammed und Mina, packen und machen uns auf Richtung Sarakhs zur Grenze. Es sind knapp 250km und auf unserer letzten Strecke gibt der Iran alles, um uns den Abschied so schwer wie möglich zu machen. Der Ausblick auf die Berge ist mal wieder gigantisch. Ich möchte so gern noch mehr von diesem wundervollen Land entdecken und ich bin traurig, dass wir den Iran heute verlassen. Andererseits freue ich mich, dass mir viele Gründe bleiben, nochmal hierher zu reisen.

Von wegen heute verlassen. Wir erreichen um 19 Uhr die Grenze. Sie ist geschlossen. Verdammt. Glücklicherweise ist keine 500m entfernt das Hotel Doosty, Kategorie Truckstop. Die Zimmer sind alt und abgewohnt und ich bin froh meinen Hüttenschlafsack zu haben. Aber die Betreiber sind sehr nett, lassen uns in Dollar bezahlen (12,50€ inkl. Frühstück für das Zimmer), da wir ja keinen einzigen Rial mehr haben.

Das Abendessen ist überraschenderweise fantastisch, Roland hat mal wieder Fleischspieß und ich Salat. Die Trucker vom Nebentisch reichen uns zum Nachtisch einen Teller Melone rüber. Roland isst zwei Stück. Der Iran hat uns verändert.

Bei Mohammed und Mina

Wenn ich gewusst hätte, was für eine Strecke heute auf mich zu kommt, wäre ich im Bett liegen geblieben. Bis Mashhad sind es auf dem schnellsten Weg 550km. Roland möchte gern einen Umweg über den Golestan Nationalpark fahren, den ich ursprünglich auch auf meiner Route hatte, aber aus Zeitgründen auslassen möchte. Machen wir aber nicht.

Die Hitze heute ist unerträglich. Das Thermometer an meinem Bike zeigt 46.5° an. Am Nachmittag halten wir an einem hier typischen Imbiss an, ich möchte eine längere Pause in einem klimatisierten Raum machen. Wir haben nur noch wenige Rial, wollen aber nicht mehr tauschen und haben Tanken und Unterkunft kurz überschlagen, es sollte reichen, auch wenn wir etwas essen. Roland bestellt wie immer einen Fleischspieß, ich gegrillte Tomaten mit Brot. Das kostet hier ja nicht die Welt. Der Besitzer ist so begeistert von uns auf den Bikes, dass wir nichts bezahlen müssen. Das kommt uns heute ausnahmsweise sehr gelegen, auch wenn wir mehrmals betonen, dass wir natürlich bezahlen wollen.

Im Golestan Park knacken wir die 10.00km. Kurzes Glücksgefühl. Dann ein Blick auf die Uhr und die weitere Route und zack ist das tolle Gefühl weg. Noch 450km bis Mashhad. Es wird tiefe Nacht sein, wenn wir dort ankommen. Unser Plan, eine Unterkunft auf der Strecke zu finden, geht nicht auf. Zwischen Bodschnurd und Mashhad sind nur ein paar kleine Dörfer, die zwar toll beleuchtet sind, es herrscht emsiges Treiben auf den Straßen, aber kein Hotel weit und breit. Es bleibt uns nichts anderes übrig als bis Mashhad durchzuhalten. Die letzten 150km sind eine Qual. Wir haben beide keine Lust mehr, fahren stur auf der Schnellstraße dahin, reden kaum, warnen uns nur wenn ein unbeleuchtetes Fahrzeug von hinten oder entgegen kommt. Die Laune ist am Nullpunkt.

Kurz vor der Stadt tanken wir und werden gleich angesprochen, ob wir Hilfe brauchen. Wir erwähnen, dass wir noch kein Hotel haben und ein junger Mann sagt sofort, wir sollen ihm folgen, er fährt uns zu einem Hotel in der Nähe – dem Parsian Tourist Hotel. Der Rezeptionist dort will gerade Feierabend machen, zeigt Roland noch die Zimmer aber meint dann: „Am besten ihr kommt mit zu mir. Ich wohne nicht weit weg, und meine Frau freut sich.“ Abgemacht. Mohammed fährt also mit seinem Fahrrad voraus, der arme strampelt sich ab, damit wir wenigstens mit 25km/h hinterherfahren können. 15 Minuten später parken wir unsere Bikes in seiner Garage und stehen kurz darauf in einer iranischen 3-Zimmer-Wohnung. Ich schätze, seine Frau Mina hat die Wohnung eingerichtet. Es sieht aus wie in einem Palast aus der Barock-Zeit. Weiße, verschnörkelte Polstermöbel mit Goldrand, die mit Plastik überzogen sind, ein riesen Teppich in einem goldenen Rahmen hängt über dem Sofa, er stellt die Krönung von Jamshid dar, wenn ich das richtig verstanden habe. Seine Mutter hat dieses Teppichbild selbst gefertigt. In 2,5 Jahren. Drei Katzen laufen durch die Wohnung, ein Kater namens Hero und zwei kleine Babykatzen, die sie von der Straße geholt haben, aufpeppeln und dann wieder aussetzen werden. Das haben sie schon öfter gemacht.

Wir machen es uns auf der Couch bequem und sie servieren uns Obst und ein saures Joghurt-Getränk, Saft und Tee. Beide sind wunderbar herzlich und fürsorglich. Ich fühle mich gerade wie eine Baby-Straßenkatze.

Die Terrassen Badab-e Surt

Es hilft nichts, wir müssen ein Stück auf der Hauptstraße am Kaspischen Meer entlang bevor wir nach einer knappen Stunde bei Sari Richtung Berge abbiegen. Die Strecke, die Roland ausgesucht hat, ist ein Traum. Wir durchqueren wieder ein Gebirge auf perfektem Asphalt. Damghan ist heute unser Ziel, vorher möchten wir uns die Badab-e Surt Terrassen ansehen. Die terrassenförmigen Mineralquellen liegen etwas erhöht und sind nur über einen Offroad-Track erreichbar. In unserem Reiseführer steht, man muss die letzten 1,5km zu Fuß gehen und als wir an der Abzweigung stehen, kommen uns tatsächlich Fußgänger entgegen.

Die Straße ist steil, sandig und von Schlaglöchern durchzogen. Trotzdem fahren wir hoch. Roland fährt los und ich mit Schwung hinterher. Was ich nicht bedacht habe: Roland wirbelt so viel Sand und Staub auf, dass ich nach ein paar Sekunden nichts mehr sehe und anstatt anzuhalten, gebe ich Gas. Ich spüre, wie ich mehrmals mit Zicki mit voller Wucht auf dem Boden aufsetze, dann verliere ich die Kontrolle und stürze. Als sich die Staubwolke legt, sehe ich, dass ich mit einem Affenzahn über mehrere Buckel gefahren bin. Schön blöd. Roland hilft mir beim Aufstellen und jetzt fahre ich vor. Langsam und vorsichtig.
Es ist bereits später Nachmittag und die Sonne taucht die Landschaft in ein fantastisches Licht. Die Terrassen schimmern in verschiedenen Rottönen, die Berge rundherum gelb-orange und der Himmel ist Knallblau. Was für ein Farbenspiel.
Auf dem Weg nach unten habe ich Mühe, nicht zu schnell zu werden, das viele Gewicht schiebt Zicki und mich ganz schön nach unten. Wir schaffen es ohne Sturz nach unten und fahren weitere 20km auf einer schönen Offroad-Strecke, die sich am Berg entlang windet zurück zur Hauptstraße und von dort weiter Richtung Süd-Osten. Bis Damghan sind wir umringt von Bergen. Diese Route war ein wichtiger Teil der Seidenstraße und ich kann nur hoffen, dass die Menschen damals den Anblick der Berge genauso genießen konnten, wie ich jetzt.

Die letzten Tage im Iran machen es einem wirklich sehr schwer, weiter zu reisen. Aber in zwei Tagen, am 13.7., beginnt unser 5-tägiges Transitvisum für Turkmenistan. Einziges Problem: Wir haben es noch nicht. Beantragt im Mai, hat die Genehmigung bis letzte Woche gedauert. Wir haben dafür extra einen Zweitpass beantragt und die Visa-Agentur hat den Pass inklusive Visum vor ein paar Tagen per Express nach Mashhad geschickt und ich prüfe jeden Abend den Sendungsstatus. Aktuell ist es in Dubai. In unserer Unterkunft in Damghan treffen wir ein Paar aus Frankreich, die auf einer GS die gleiche Tour fahren wie wir. Allerdings in der Hälfte der Zeit. Und sie haben das gleiche Problem, warten auch seit Wochen auf ihr Visum. So richtig Vorfreude auf dieses komplizierte Turkmenistan kommt bei uns noch nicht auf.

Das Kaspische Meer: der Weg ist das Ziel.

Ich möchte im See baden. Auch wenn ich dabei komplett angezogen sein muss. Ich ziehe Kopftuch, eine lange Stoffhose und mein Merino-Shirt an, das muss sowieso gewaschen werden. Roland geht lockerflockig nur in Badehose neben mir ins Wasser. Das Wasser ist herrlich, total klar und hat die perfekte Badetemperatur. Wir schwimmen ein paar Runden. Alles richtig gemacht.

Bevor ich aus dem Wasser gehe, reicht mir Roland das Handtuch und ich schlinge es sofort um mich. Die nasse Klamotte klebt an mir, und naja, es zeichnet sich eben einiges ab. Ein junges Mädchen, ca. 15, kommt auf mich zu. Sie begrüßt mich auf Englisch und sagt: „No worry, this is comfort zone, no police, you are free here.“ Sie ist mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder hier. Im Oktober wollen sie vielleicht nach Deutschland kommen. Ich gebe ihr meine Email-Adresse und hoffe wirklich, dass ich sie wiedersehe. Damit ich mich für die großartige Gastfreundschaft aller Iraner bei ihr und ihrer Familie revanchieren kann.

Während wir uns fertig machen und die Bikes beladen, kommen die Nachbarn von links, um sich zu verabschieden. Kurz darauf bringen uns die Nachbarn von rechts eine halbe Wassermelone. Noch ist Roland nicht so weit. Ich muss sie alleine essen. Wir machen Kaffee und frühstücken, anschließend wasche ich das Geschirr ab. Auf dem Rückweg von der Waschstelle sehe ich gerade noch rechtzeitig – bevor ich den FlipFlop auf den Boden setze – dass unter mir eine kleine, braune Schlange liegt. Ich schreie, hüpfe davon und werfe dabei das Geschirr durch die Luft. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Was hab ich mich erschreckt. Unsere Nachbarin kommt gleich angelaufen, ich mache das internationale Zeichen für Schlange und zische dabei durch die Zähne. Sie nickt, lächelt und hilft mir das Geschirr aufzuheben. Ich bin kein Fan von Spinnen aber Schlangen gehen echt überhaupt nicht.

Noch später als sonst starten wir unsere Fahrt durch das Alamut Tal. Auch heute müssen wir das Alamut Castle auslassen, da der Track, den Roland ausgesucht hat, viele Offroad-Passagen enthält und uns die Zeit davon läuft. Wir fahren ein Stück die Straße zurück, die wir gestern zum Evansee hoch gefahren sind und dann weiter Richtung Norden über die Berge in Richtung Kaspisches Meer. Die Straße windet sich immer enger den Berg hoch. Der Ausblick auf die umliegenden Gipfel des Alborz Gebirge ist gigantisch. Einige von ihnen sind schneebedeckt. Ich würde am liebsten in jeder Kurve anhalten und ein Foto machen.

Wir fahren schon länger nicht mehr auf Asphalt, zuerst ist es festgefahrener Schotter, dann wird es immer steiniger mit sandigen Passagen. Die Kurven werden immer enger, irgendwann müssen wir doch oben sein, denke ich mir. Auf 2.700 Höhenmeter machen wir Halt an einem kleinen Kiosk und füllen Wasser nach. Roland checkt den Ölstand seiner nineT (das wollte er schon länger und hat es nur immer wieder vergessen) und merkt, dass gar kein Öl mehr im Schauglas zu sehen ist. Shit. Im Kiosk gibt es keines. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als weiter zu fahren. Immer weiter bergauf.
Bei 3.000 m machen wir ein Foto! Unser heutiger Highscore ist allerdings 3.215 Höhenmeter. Das Grinsen in meinem Gesicht ist riesengroß. Bis ich auf einmal Roland schreien höre. Ich schau in den Rückspiegel und sehe, wie er kurz nach einer Rechtskurve stürzt. Ich stelle Zicki ab und renne runter. Es ist nichts passiert, wir waren ja nicht schnell unterwegs. Zusammen heben wir das Bike auf. Im Sand ist ihm das Vorderrad weggerutscht. Ich vergesse blöderweise, ein Foto zu machen. Denn er macht von meinen Eskapaden immer eines.

Noch liegen min vier Stunden Fahrt vor uns und es ist bereits nach 16 Uhr. Wir müssen uns beeilen. Nachdem wir über dem Gipfel sind, geht es genauso traumhaft weiter. Serpentinen, Schotter, traumhafte Bergkulisse und tiefe Wolkenfelder, die vor uns vorbeiziehen. Immer wieder sehen wir Bienenkästen und Zelte, manchmal auch die Imker und wir winken uns gegenseitig zu. Je weiter wir Richtung Kaspisches Meer kommen, desto grüner wird es. Die Luftfeuchtigkeit steigt und die Temperatur ist mittlerweile auf 21°C gesunken. Wie unterschiedlich die Landschaft im Iran doch ist. Vor ein paar Tagen fuhren wir noch durch die Wüste bei 45°C, haben geschwitzt und jetzt habe ich Wassertropfen auf dem Visier. Wir fahren durch dichten Nebel und es fühlt sich fast wie Regen an.

Als wir das Tal erreichen, erleben wir eine Seite am Iran, die uns nicht gefällt. Überall dort, wo gecampt wird, liegt Unmengen an Müll. In den schönsten Wäldern, an Wasserfällen und Flüssen. Eine Spur der Verwüstung. Es wird alles in die Natur geschmissen, Papier, Plastik, Essensreste. Es ist wirklich ein Schweinestall. Wir haben keine Lust, an den Wasserfällen anzuhalten, so sehr ärgern wir uns.

Wir fahren weiter und finden zum Glück eine Werkstatt, die das richtige Öl hat. Castrol 20W50. Bezahlen darf Roland es aber nicht, die Rechnung will unbedingt der Besitzer vom Möbelladen nebenan übernehmen. Nach dem üblichen Nein-Doch Spiel bedanken wir uns und fahren weiter, bis wir die Küste erreichen. Hier reiht sich ein Touristenort an den anderen. Überall blinkt es, die Leuchtschilder über den Geschäften, die Brücken und sogar die Palmen. Ich sehe Zara, Kentucky Fried Chicken und einen Ikea Idea Store. Das hatte ich nun wirklich nicht erwartet. Noch dazu versinken wir mal wieder im Verkehrschaos und kommen nur schleppend vorwärts. Es wird bereits dunkel und wir haben noch kein Hotel. Ich bin müde und genervt und will einfach nur irgendwo ankommen. Trotzdem versuche ichdf, mich nicht zu ärgern. Denn der gesamte Tag war so wunderschön und eindrucksvoll, wir hatten so viele schöne Momente in den Bergen, das möchte ich mir nicht vermiesen lassen.

Kurz nach Chalous finden wir eine Unterkunft und nach kurzen Verhandlungen bekommen wir auch einen Rabatt. Das Abendessen lassen wir heute ausfallen, Roland möchte lieber das Spiel sehen und so serviere ich ihm Tee und Erdnüsse ans Bett.