Der Toktogul See

Ich bin für meine Verhältnisse früh wach. Noch vor 8 Uhr sitze ich im Fluss und wasche meine Haare und den Rest im eiskalten Wasser. Brainfreeze inklusive.

Danach wecke ich Roland auf und setze mich vor unser Zelt und lasse die Haare trocknen. Einer der Jungs kommt vorbei, es ist der kleinste von den Dreien. Ich schaue auf mein Handy, es ist 9 Uhr. Oha der ist aber früh dran. 10 Uhr was ausgemacht. Er gibt mir zwei Tüten, in der einen sind zwei große Fladenbrote, in der anderen mindesten 20 kleine Äpfel. Ich geb ihm das Geld, wir verabschieden uns und er geht. 10 Minuten später steht er mit einem Glas Honig vor uns. Herrgott, geht das heute wieder los? Vermutlich schicken ihn seine Eltern, verkauf an die verrückten Touristen auf unserer Wiese so viel wie geht! Da wir gestern schon 1kg Honig gekauft haben, muss ich ablehnen, auch wenn er mir ein bisschen leid tut.

Roland schicke ich an den Fluss zum Waschen, während ich Kaffee koche. Wir frühstücken, als der ältere Junge von gestern auftaucht. In der Hand eine Tüte mit zwei Fladenbroten. Ne oder? Dieser kleine Schlawiner von 9 Uhr. Er hat seinen Kumpel ausgetrickst und uns einfach früher die Brote gebracht und das Geld alleine kassiert. Chapeau! Ich bringe es aber nicht übers Herz, ihn und seine Brote ohne Bezahlung wegzuschicken. Ich nehme eines und er bekommt 1$. Da ich merke, dass er nicht ganz happy ist, zeige auf die beiden Brote vor mir, sage Sorry und zucke mit den Schultern.

Der Honig ist unglaublich lecker, aber trotzdem schaffen wir gerademal die Hälfte von einem Brot. Die restlichen Brote packe ich ganz unten in mein Bag und ich hoffe, dass sie bis heute Abend durchhalten.

Roland hat die Idee, den Honig in eine 1l Wasserflasche zu füllen, so lässt er sich viel sicherer transportieren als in dem Glas mit dem windigen Deckel. Endlich kommt der kleine Trichter zum Einsatz und Roland füllt den Honig erfolgreich um.

Bei strahlendem Sonnenschein setzen wir unsere Fahrt Richtung Toktogul fort. Wie gestern führt er durch saftig grüne Wiesen. Wir machen kaum Höhenmeter, bleiben immer auf ca. 1.900m und bis auf ein paar anspruchsvolle Passagen zu Beginn ist der Track easy fahrbar. Ein breiter Feldweg, der sich um einen Berg nach dem anderen schlängelt.

Am Nachmittag haben wir die Berge des Suusamyrtoo durchfahren. Ab jetzt geht es auf Asphalt weiter. Die Landschaft wird trockener und es ist ziemlich warm, um die 35°C. Die Straße schlängelt sich durch dunkelbraune Berge und recht bald sehen wir zum ersten mal den Toktogul See. Die Kombination aus der erdigen Landschaft und dem tiefblauen Wasser ist gigantisch. Wir umfahren den See von Ost nach West und finden auf der Westseite ein kleines Restaurant. Roland hat Lust auf Fisch. Wir parken unsere Bikes und sehen zwei GS, die sich hinter einem LKW versteckt hatten. Prima, dann sind wir hier genau richtig. Wir betreten die Terrasse und der Blick auf den See haut uns fast um. Wir setzen uns an einen Tisch, außer den beiden GS Fahrern und uns gibt es keine weiteren Gäste. Der eine Fahrer hilft uns gleich bei der Bestellung, da er Russisch spricht. Die beiden kommen aus Sofia. Der eine sieht aus wie ein Model aus dem Feuerwehrmann Kalender. Groß und muskulös, dunkles volles Haar, blaue Augen, perfekt kontuierter Bart. Der andere hat eine ähnliche muskulöse Statur, trägt einen wilden 5-Tage-Bart und ein Military Bandana auf dem Kopf. Der könnte eine Nebenrolle in einem Rambo Film spielen. Beide machen aber ganz was anderes, sie sind Zahnärzte. Ich fasse es nicht. Sie erzählen, dass sie in Tajikistan jemandem einen kaputten Zahn gezogen haben. Mit Narkose. Patient lebt noch, meinen sie und lachen. Unser Essen kommt, Roland hat eine gebratene Lachsforelle aus dem See und ich… Salat. Die beiden Jungs verabschieden sich und wir genießen unser Essen mit Blick auf den See.

Die Suche nach einem Zeltplatz am See ist nicht ganz so einfach, da es kaum sichtbare Zugänge zum Ufer gibt. Als wir endlich einen Weg hinunter finden, stehen am Strand bereits drei Autos mit Familien. Und zwar direkt am Strand, keinen halben Meter vom Wasser entfernt. Wir parken etwas oberhalb auf der Wiese und warten noch etwas mit dem Zelt-Aufbauen. Die Familien packen nach und nach zusammen und steigen in die Autos. In einen normalen Pkw quetschen sich 9 Personen, 4 Erwachsene und 5 Kinder. Unfassbar.

Als wir endlich alleine sind, bauen wir das Zelt auf, setzen uns in die Stühle und trinken unser zum Glück noch kaltes Bier, während wir den Sonnenuntergang beobachten. Allerdings sind wir nicht lange alleine. Kühe machen ihren Abendspaziergang am Ufer und fressen die Reste der Wassermelonen, die die Familien am Strand liegen gelassen haben. Na hoffentlich gibt das morgen keine rosa Milch…

1kg kirgisischer Honig

Wir haben fantastisch geschlafen und ich freu mich, als ich beim Aufwachen das laute Rauschen des Flusses höre. Wir haben bisher immer super Plätze zum campen gefunden und am liebsten ist es mir natürlich an einem Fluss oder See. Ein Bad morgens im kalten Wasser ist der beste Start in den Tag.

Die Bäume um uns herum bieten gut Schatten, so dass wir uns Zeit lassen mit der Abreise. Es ist ein wunderschöner Tag, heiss und es sieht nicht nach Regen aus. Unser Ziel ist der Toktogul See ganz im Westen von Kirgisistan, je nachdem wie die Strecke beschaffen ist, werden wir eventuell irgendwo auf dem Weg nochmal übernachten müssen.

Anfangs durchfahren wir einen Canyon auf bestem Asphalt. Greifvögel ziehen über uns ihre Kreise und Esel und Pferde kreuzen unseren Weg. Leider müssen wir aufgrund von Straßenbauarbeiten nach 40 km umdrehen, aber der Canyon ist es wert, ihn zweimal zu durchfahren.

Danach nehmen wir eine andere Route und fahren auf Schotter durch ein Tal weiter nördlich. Nachdem wir über eine Stunde weder Auto noch Mensch noch Tier gesehen haben, kommen uns zwei Fahrradfahrer entgegen. Es sind Annabelle und Sascha, die wir in Dushanbe und dann in Osh gesehen hatten. Was für ein Zufall, die Freude ist groß. Ihren kleinen Findelhund Ginny haben sie vor Bishkek bei einer Nomadenfamilie unterbracht. Wir tauschen unsere Erfahrungen der letzten Tage aus und diverse Routentipps, dann fahren wir wieder weiter. Annabelle schreibt ebenfalls einen Blog über ihre Reise mit dem Rad nach Neuseeland. Den Blog findet ihr hier

Der Track führt immer weiter bergauf und in eine nicht enden wollende Bergkette hinein. Um uns herum ist mittlerweile alles grün, die Wiesen und Berghänge. Entsprechend viele Jurten und Herden sehen wir, die Gegend hier ist die perfekte Sommerweide. Sobald Kinder uns hören, rennen sie von der Jurte so schnell sie können Richtung Straße und wollen, dass wir mit der Hand abklatschen. Wenn es klappt, lachen sie laut und hüpfen vor Freude.

Immer wieder durchfahren wir kleine Bergflüsse. Ich liebe Wasserdurchfahrten! Durch eine riesen Pfütze lasse ich allerdings Roland mein Bike fahren. Der Untergrund ist super schlammig und da ich Zicki kaum halten kann wenn sie kippt, gehe ich lieber kein Risiko ein.

Wir haben heute den ganzen Tag noch keinen Minimarkt gesehen. Wo auch! Wir waren immer auf kleinen Tracks in den Bergen unterwegs. Zahlen hätten wir sowieso nur mit Dollar können, da wir absolut blank sind. Kein einziger Som mehr in unserem Geldbeutel. Fürs Abendessen hab ich noch eine Portion Pasta mit Sauce, aber sonst nichts mehr.

Es dämmert als wir durch ein Dorf, das an einem breiten Fluss liegt, fahren, aber leider gibt es hier keinen Shop. Dann fällt das Frühstück morgen eben aus. Wir suchen uns einen Platz auf einem gemähten Stück Wiese ca. 100m nach dem letzten Haus mit Zugang zum Fluss. Unten stehen drei Jungs und angeln.

Gerade als alles aufgebaut und die Pasta fertig ist, besuchen uns die drei Jungs. Mit dem Handy in der Hand und google Translator entsteht eine kleine Unterhaltung, wie wir heißen und woher wir kommen. Roland fragt, ob sie einen Fisch gefangen haben. Der älteste verneint. Sie gehen wieder weg und wir essen fertig.

Kurze Zeit später stehen sie wieder da, der älteste hat ein 1kg Glas Honig in der Hand. Wir hatten heute überall Bienenkästen gesehen. Kein Wunder, die Umgebung hier ist perfekt für Imker und ihre Bienen. Die Wiesen sind voller blühender Wildblumen. Der Junge möchte uns das Glas Honig verkaufen. Für 500 Som. Haben wir leider nicht. Nur Dollar. 10$ sagt er. Oha, den schlechten Wechselkurs kennen wir doch schon vom Zoll. Wir lieben Honig und wollten uns bereits vor ein paar Tagen welchen auf dem Markt kaufen, der war uns aber zu teuer. Ich sage zu Roland, hey wenn die uns morgen Früh Brot bringen, nehmen wir den Honig. Abgemacht. Ich tippe in sein Handy: Bringt ihr uns morgen Früh Brot? Ja, die Antwort. 2 Fladenbrote für 2$. Wucher! Der kleine ist ein dreister Geschäftsmann. Ach egal denke ich mir und sehe es von der positiven Seite: er ist tüchtig und engagiert und wir bekommen Frühstück. Also nehmen wir das Glas und er die 10$. Als letztes tippe ich in sein Handy: Das ist sehr sehr viel Geld, zeige es allen und schaue ihnen tief in die Augen. Alle drei nicken. Erziehungsauftrag erfüllt. Zuletzt schreibt er: Tomorrow 10am there will be food. Und sie gehen wieder. Roland betrachtet das große Glas Honig. Wie sollen wir das nur in unserem übervollen Gepäck unterbringen.

Keine fünf Minuten später stehen die Jungs erneut vor uns und ein älteres Mädchen ist auch dabei. Sie laden uns zu sich nach Hause ein. Es wird kalt Nachts schreibt sie in ihr Handy. Wir antworten, wir haben einen dicken Schlafsack, ich öffne das Zelt und einer der Jungs krabbelt sofort rein und begutachtet Isomatte und Schlafsack. Sie schreibt: Aber es gibt hier auch einen Wolf. Die Jungs heulen dramatisch. Ok, gleich haben sie mich. Jetzt noch eine Vampirgeschichte und ich ziehe um. Roland lacht, lehnt nochmal ab, wir sagen ihnen gute Nacht und hoffen, das war ihr letzter Besuch heute.

Es ist längst Nacht. Wir setzen uns mit unserem Bergquell-Wasser, in dem Roland eine Multivitamin Tablette aufgelöst hat, in die Stühle und sehen in den Sternen-Himmel. Mehrere Sternschnuppen fallen vom Himmel und ich schicke schnell ein paar Wünsche nach oben. Was ich mir gewünscht habe, verrate ich nicht. Sonst geht es ja nicht in Erfüllung.

Eine weitere Nacht unter freiem Himmel

Wir haben die Gewitternacht heil überstanden. Es hat aufgehört zu regnen, es weht nur noch ein kräftiger Wind, der den sonst so ruhigen Yssykköl aufwühlt. Wellen schlagen ans Ufer wie am Meer.

Wir packen zusammen und frühstücken, als es doch wieder anfängt zu regnen. Also legen wir unseren Regenkombi zurecht, frühstücken zu Ende, bauen das Zelt ab und beladen die Bikes.

Gute zwei Stunden fahren wir im Regen, zuerst am See entlang bis zu seinem westlichen Ende und dann über eine kaum befahrene Offroad Strecke, die über die malerische Ortotokoi Talsperre führt. Hier knacken wir die 16.000 km und ich werfe mich zur Feier des Tages in meinen Bikini (Foto folgt). Die weitere Route führt nördlich am Songköl vorbei, eine Bergkette versperrt allerdings die Sicht auf den See.

Rolands Bike sieht mittlerweile aus, als wäre er im Obi durch die Haushaltswaren-Abteilung gefahren und die hatten grad eine Laura Ashley  Sonderedition im Verkauf. Am linken Bag hängen ein türkisfarbener Trichter, eine pinke Bürste und ein orangefarbener Lappen. Ich bin gespannt, was er als nächstes hin hängt.

In einem kleinen Dorf kaufen wir unsere Vorräte für das Abendessen ein und ich fasse es nicht, als die Verkäuferin zu einem Abacus greift, um die Lebensmittel zusammen zu zählen. Kassen sieht man hier eh nie außer in den großen Supermärkten. Alle kleinen Läden benutzen einen Taschenrechner. Aber ein Abacus?

Der Abacus wurde vor Tausenden von Jahren vermutlich in Zentralasien erfunden. Die russische Version heißt Stschoty, war bis in die späten 90er Jahre weit verbreitet und wurde selbst in Postfilialen oder Ämtern so lange genutzt. Und hier in dem kleinen Bergdorf bis heute.

Gegen 19.30 Uhr suchen wir uns einen Platz zum Zelten und finden an einem Fluss das passende Fleckchen. Umringt von Bäumen kann uns niemand sehen und wir haben einen super Ausblick auf die Felsen am gegenüberliegenden Ufer. In der Dunkelheit werfen die von den Autos angeleuchteten Bäume mysteriöse Schatten an die Felsen. Hundert Milliarden Sterne funkeln am Himmel und der Fluss rauscht. Es ist mal wieder ein perfekter Abend in Kirgisistan.

Der Yssykköl lässt uns nicht los

Vor der Abreise pflücke ich ein paar Aprikosen vom Baum im Hotelgarten als Proviant für den Tag. Unser Urlaub ist zu Ende, jetzt wird wieder gereist.

Wir nehmen wieder die südliche Straße am See entlang und biegen bei Barskoon ab in die Berge. Die Offroad Straße 364 führt zu einer Goldmine, die seit Jahrzehnten an Kanada verpachtet ist. Die Straße wird gut gepflegt und mehrmals am Tag gewässert, d.h. es gibt keinen Staub und man kann locker 100 km/h fahren.

Die Straße führt durch ein Tal, das auch in der Schweiz liegen könnte. Hohe Nadelbäume, grüne Wiesen und Hänge, ein glasklarer Bach verläuft neben dem Track. Immer wieder sehen wir kleine Herden Pferde und Kühe. Wir passieren eine Schranke und fahren nun eine Serpentine den Berg hoch. 20 Minuten später sind wir auf knapp 4.000 m. Rechts und links von uns Schnee auf den Gipfeln. Das ging mal wieder ratzfatz. Das Wetter ist allerdings nicht mehr so schön wie am See, es ist kalt und es nieselt. Roland macht daher den Vorschlag, umzudrehen, wieder zum See zu fahren und dort irgendwo zu campen. Einverstanden.

Zurück am See kaufen wir Vorräte ein und suchen uns einen schönen Platz am Strand. Wir entdecken eine wunderschöne Stelle mit Sandstrand ein Stück abseits der Straße, kleinere Bäume bieten etwas Schutz. Leider liegt auch hier überall Müll. Es ist eine Schande, wie manche Menschen die Natur zerstören. Während ich unsere Pasta zubereite, entfernt Roland Plastikflaschen aus dem Wasser und vom Strand.

Gerade als wir fertig sind mit Essen beginnt es auch hier zu regnen. Wir hatten die dunklen Wolken über dem See bereits für längere Zeit beobachtet und zuerst sah es so aus, als ob sie vorbeiziehen. Leider nicht. Wir trinken unser Bier aus, überprüfen, dass unsere Bags am Bike ordentlich verschlossen sind und gehen ins Zelt.

Aus dem Regen wir ein ordentliches Gewitter. Es blitzt und donnert heftig und der starke Wind rüttelt am Zelt. Hoffentlich ist es dicht, es schüttet aus Eimern. Wir liegen im Schlafsack und beobachten, wie der Blitz immer wieder kurz das Zelt erhellt. Ich zähle „1“ und es donnert. Das Gewitter ist quasi über uns. Ich muss zugeben, so ganz wohl ist mir nicht. Roland nimmt meine Hand und versucht mich zu beruhigen und meint, wie unwahrscheinlich es ist, dass ausgerechnet wir hier vom Blitz getroffen werden. Und es ist doch viel besser bei Gewitter am See zu zelten als in den Bergen. Ein schwacher Trost aber irgendwann siegt die Müdigkeit über die Angst und ich schlafe ein.