Einreise nach Georgien

Die Nacht war ruhig, es hat nur ein bisschen geblitzt und geregnet. Allerdings sieht die Klippe bei Tageslicht gleich nochmal gefährlicher aus. Es sind locker 15 m bis zum Fluss. Drei Jungs aus dem Dorf stört das nicht, sie springen immer wieder von der Klippe und lassen sich im Wasser ein Stück weitertreiben. Ich bin beeindruckt. Ich würde mich das nicht trauen. Roland findet ein Stück von unserem Zelt entfernt einen Weg zum Ufer. Am Ufer stehen seltsame, große Begrenzungen, für was die wohl sind?

Wir starten unseren letzten 130 Kilometer in Russland bis zur Grenze und es ist ein Spießroutenlauf. Überall Polizei und Militär. Teilweise steht alle 500 m ein Polizist am Straßenrand. Wir werden auch kontrolliert. Das erste Mal verläuft ganz normal, der Beamte sieht, dass ich genau wie er 1980 geboren bin. Das findet er total toll und als er auch noch mein Nummernschild mit der 80 sieht flippt er aus. Sein Auto hat ebenfalls die 80 als Kennzeichen. Wir dürfen sofort weiter fahren. Wunderbar, das war easy.

Keine zwei Minuten später Blaulicht hinter mir und die Sirene. Wir halten an. Drei Beamte sitzen im Auto, einer steigt aus. Er will Rolands Papiere sehen. Ich werde ignoriert. Er redet mit Roland aber ich verstehe auch so, dass wir hier nicht fahren dürfen. Roland zeigt ihm die Navigation, die uns genau hier entlang führt. Dem Polizisten ist das egal. Wir sollen ihm aufs Revier folgen für eine Strafe. Sicher nicht, sagt Roland zu mir und setzt den Helm ab. Dann beugt er sich zu dem Polizisten vor und fragt SEHR bestimmt: „Tell me, what’s the reason? What’s the problem? Political reason?“ Diesen Roland kenne ich. Jetzt versteht er keinen Spass mehr, seine Geduld ist zu Ende. Der Polizist spricht kurz mit seinen Kollegen, dann gibt er Roland seine Papiere und sagt: Ok, go! Und das machen wir auch so schnell wie möglich.

Panzer kommen uns entgegen und wir passieren mehrere Militär- und Polizeikontrollen, aber ohne weitere Zwischenfälle. Ich beobachte die Umgebung genau. Ganz wohl fühle ich mich nicht. Natürlich gibt es eine Sicherheitswarnung des Auswärtigen Amtes für den Nordkaukasus. Aber vor welchem Land warnt dieses Amt bitte nicht. Selbst bei Reisen nach Österreich wird empfohlen, sich in die Krisenvorsorgeliste einzutragen. Und für uns gibt es keinen anderen Weg heim. Also Augen zu und durch. Oder besser Augen auf!

Einige Kfz-Kennzeichen tragen neben der russischen Flagge auch die weiß/rot/gelbe und das Kürzel RSO für Südossetien. Südossetien ist genau wie Abchasien eine von Georgien abtrünnige Region, angeblich eigenständig aber Russland hat seit dem Krieg 2008 dort Truppen stationiert. Georgien erkennt die Unabhängigkeit nicht an und spricht von einer Annexion durch Russland.

Rechts neben der Straße entdecke ich ein großes Stalin Plakat, das ich fotografiere und mir später übersetzen lasse. Ich kann mir den Inhalt jetzt schon denken und bin entsetzt und traurig.

Das und die viele Polizei- und Militärpräsenz drücken auf die Stimmung. Passend dazu beginnt es auch noch zu regnen, als wir die Bergstraße richtig Grenze hochfahren. Als ob der Himmel für mich weint.

Ehrlich gesagt, ich bin erleichtert, als wir aus Russland aus- und kurz darauf nach Georgien einreisen. Beides geht zügig, wir fahren bei beiden Kontrollen an den Lkw vorbei. Für die Einreise nach Georgien müssen wir nicht mal das Motorrad verlassen.

Endlich wieder Berge! Ich genieße die kurvige Fahrt auf der A301, der sogenannten „Georgischen Heerstraße“. Der Regen hat kurz nach der Grenze aufgehört. Ein Zeichen. Nach wenigen Kilometern nehmen wir die erste Offroad Piste hinauf zur Gergeti Trinity Church dem Wahrzeichen Georgiens. Vom Parkplatz aus fahren Taxen die sehr steile und von tiefen Schlaglöchern übersähte Piste die Touristen nach oben. Wir versuchen es selber mit den Bikes. In der dritten Kurve liege ich das erste Mal. Es war eher eine schiefgelaufene Bremsung und ein Hinabschlittern als ein Sturz. Roland hilft Zicki aufzustellen und weiter geht’s. Oben angekommen sehen wir uns relativ zügig das Kloster an, die umliegenden Berge des Kaukasus verstecken sich hinter dicken Wolken. Schade, denn so bleibt uns der Blick auf den höchsten Berg Georgiens, den 5.047 m hohen Kazbegi verwehrt. Auf dem Weg nach unten passiert mir das gleiche wieder. Gegenverkehr, ich bremse, rutsche und falle. Es ist echt scheiße steil hier. Krone richten, weiter geht’s.

Im für den Tourismus bestens erschlossenen Ski-Gebiet um Gudauri holen wir Geld, kaufen ein uns fahren die A301 weiter Richtung Süden. Eine gute Stunde später entdeckt Roland einen schönen Platz direkt am Fluss zum campen. Große gelbe Rafting-Boote stehen am Ufer, es gibt eine Feuerstelle und eine Chillout Area. Wir fragen bei der Besitzerin nach, ob wir hier zelten dürfen. Der Grund gehört Lika und ihrer Familie, der Rafting Verein hat sich hier eingemietet. Lika lässt uns hier kostenlos übernachten, macht uns sofort Tee und zeigt uns das Gelände. Als wir unser Zelt aufbauen, bringt sie uns Chacha, den georgischen Schnaps, was zu essen und stellt uns ihren Vater Givi vor, der die ganze Nacht auf dem Platz Wache halten wird. Er spricht kaum Englisch aber wird sie anrufen, falls wir etwas brauchen. Sie wohnt direkt hier um die Ecke und kann dann sofort kommen. Dann machen die beiden noch ein Feuer für uns. Wir sind überwältigt von ihrer Herzlichkeit und Fürsorge und der Stress in Russland ist längst vergessen. Wir kochen nicht mehr, trinken noch zwei Bier am Feuer und freuen uns auf die nächsten Tage in Georgien.

Fast Georgien

Yeah, es gibt Cappuccino zum Frühstück! Zwar kostet er extra, 120 Rubel, aber das ist mir egal. Ich trinke zwei. Wir verlassen Elista und fahren Richtung Süden, knapp 600 km sind es bis zur Grenze nach Georgien. Mal sehen wie weit wir kommen.

Die Route ist nichts besonderes, sie führt durch die Steppe, wenige Orte liegen direkt an der Straße. Es ist karg und einsam. Und es weht ein ekelhafter Wind von links, der ungebremst über die Ebene fegt und uns in Schräglage zwingt. Kein Baum oder Hügel im Weg, der ihn schwächen könnte.

430 km schaffen wir, bevor es dämmert. Je weiter westlich wir kommen, desto früher geht die Sonne unter. Heute bereits um 18.45 Uhr. Roland entdeckt einen kleinen Weg zu einem Fluss. Was man auf der Karte leider nicht gesehen hat, ist dass das Ufer ca 15m super steil zum Wasser abfällt. Der Blick auf den Fluss ist toll, morgen baden leider unmöglich.

Wir bauen unser Nachtlager auf und ich merke, dass ich durch den blöden Wind einen steifen Hals bekommen habe. Es zieht und sticht bis ins Schulterblatt. Heute Abend werde ich die Voltaren brauchen.

Gerade als wir fertig sind, blitzt es westlich am Horizont. Und zwar ordentlich. Grelle, zackige Blitze bis zur Erde. Immer wieder. Zwar weit weg und man hört noch keinen Donner aber ich mach mir sofort ins Höschen. Bitte, bitte nicht schon wieder ein Gewitter beim Zelten. Ich hatte mich so darauf gefreut, heute unter freiem Himmel zu schlafen. Eigentlich wollten wir wieder Pasta kochen, aber ich bin zu nervös. Roland macht das Bier auf, die gute 1,5 l Plastikflasche, und wir setzen uns auf die Stühle, beobachten die Blitze, trinken Bier und essen geräucherten Käse dazu. Mal abwarten, wie sich das Gewitter entwickelt.

Buddhismus, Schach und 12 Stühle

Unsere Vorbereitungen auf diese Reise waren ja eher mittelmäßig. Aus mehreren Gründen: Roland bekam erst im Februar die Zusage für sein Sabbatical und ist bis zu unserer Abreise Anfang Juni knietief in Arbeit gesteckt. Er hatte nichtmal ausreichend Zeit, sein Bike in vollem Umfang umzubauen. Ich hab mich seit Anfang des Jahres mit möglichen Routen beschäftigt, aber nach ein paar Wochen Recherche hat mir so der Kopf geraucht, dass ich wieder aufgehört habe. Die vielen Meinungen und teilweise widersprüchlichen Erzählungen anderer Reisende haben mich zu sehr verwirrt.

Roland und ich haben daher beschlossen, uns nur noch auf das Wichtigste zu konzentrieren, wie die Visa oder Notfälle bei uns und den Bikes. Routen und das ganze Drumherum machen wir dann on-the-go. So auch Russland. Statt wie ursprünglich angedacht, auf dem schnellsten Weg nach Georgien zu fahren, waren wir die letzten Tage im Wolga Delta und fahren heute nach Kalmückien, von dem ich bis gestern noch nie etwas gehört hatte. Und zugegeben, zuerst musste ich etwas Schmunzeln, als ich den Namen Kalmückien gelesen habe und vor allem deswegen war mein Interesse geweckt.

Kalmückien ist eine Republik in Russland und ist die einzige buddhistische Nation in Europa. Ursprünglich lebten hier die Nachfahren der alten Mongolen, bis sie im 2. Weltkrieg vertrieben wurden und erst 1956 wieder nach Kalmückien zurückkehren durften. Es dauerte allerdings bis nach dem Ende der Sowjetunion, bis sie ihrem buddhistischen Glauben wieder öffentlich nachgehen durften.

Wir haben uns als Ziel Elista, die Haupdtadt Kalmückiens, ausgesucht. Etwas über 300 km sind es von Astrachan Richtung Westen. Die Straße ist gut, es gibt kaum Verkehr und wir halten nur einmal an, als wir an einem großen Salzsee vorbei fahren.

In Elista checken wir in einem Biker Hotel direkt gegenüber vom buddhistischen Tempel ein, den wir auch gleich als erstes besichtigen. 2005 wurde die sogenannte „Goldene Heimstätte des Buddha Shakyamuni“ eröffnet, nur 1 Jahre nachdem der Dalai Lama das Grundstück selbst ausgewählt hatte. Die gesamte Tempelanlage ist beeindruckend. Rund um den 63m hohen Tempel findet man Gebetstrommeln, Pagoden mit Statuten und einen großen Brunnen.

Im Tempel steht die mit 9 Metern größte Buddha Statue in Europa. Die Statue ist mit Gold überzogen und steht erhöht direkt gegenüber des Eingangs. Daneben Kleidung des Dalai Lama, ein Geschenk an den Tempel, da er selbst wohl seit einigen Jahren aus politischen Gründen nicht mehr nach Russland einreisen darf, erzählt uns ein junger Mann am Eingang. Wie sich herausstellt, spricht er ein bisschen Deutsch, da er im Rahmen seines Landwirtschafts-Studiums an der Universität in Elista für ein Praktikum in Deutschland war. Und zwar auf Demeter und Bioland Höfen in Bayern und bei Hamburg. Ich brech zusammen. Ein Buddhist aus Russland bei Demeter. Deutschland hat ihm sehr gut gefallen meint er. Außer dass er bei der Gast-Familie in Hamburg so wenig Fleisch bekommen hat. Er brauche Fleisch, damit er stark ist.

Er schickt uns noch zu einer weiteren Kuriosität in Elista. Chess City, ein Stadtteil, der in den 90ern unter Kalmückiens Präsident Iljumschinow erbaut wurde. Iljumschinow war nicht nur bis 2010 Präsident Kalmückiens sondern ist seit 20 Jahren Vorsitzender des Weltschachverbands FIDE. Aufgrund seiner Nähe zu diversen Diktatoren wie al Gaddafi und Assad sowie dubiosen Finanzgeschäften stand er lange in der Kritik und diesen Sommer hat die FIDE ihren Vorsitzenden suspendiert. In Chess City findet man hier und da übergroße Schachfiguren zwischen den leerstehenden Gebäuden. Der Platz wirkt ansonsten verlassen und trostlos.

Wir laufen weiter durch die Stadt. An jeder Ecke entdecken wir buddhistische Bauten, Denkmäler und Statuen. Unter anderem eine Statue von Ostap Bender, der Protagonist aus dem Roman „12 Stühle“. Die Statue ließ ebenfalls Iljumschinow bauen, der den Roman wohl ganz toll fand. Den meisten Kalmücken ist ihr ehemaliger Präsident ziemlich unangenehm. weil er mehrmals öffentlich behauptet hat, von Außerirdischen entführt worden zu sein.

Zum Abendrssen suchen wir uns ein Restaurant, das lokale Spezialitäten serviert, die da heißen „Machan Scholtahan“, „Hursn Machn“ und „Böricki“.  Roland bestellt sich einen Mixteller allerdings ohne die ersten beiden Gerichte, da das irgendwas mit Hammelinnereien ist. „Böricki“ sind Teigtaschen und schmecken ihm sehr lecker. Nebenbei spielt die Kellnerin auf einer Art Gitarre, mit 3 Seiten und ja ich würde sagen, sie ist total verstimmt. Aber vermutlich muss sie genauso klingen hier im kuriosen Elista, in Kalmückien.

Das Wolga Delta

Um 10 Uhr ist Abfahrt vor dem Hotel Azimut, das 20 Minuten zu Fuß von unserem Hotel und direkt an der Wolga liegt. Unsere Reisegruppe ist bunt gemischt, aber keiner spricht Englisch.
Wir verlassen die Stadt in Richtung Süden, am Flughafen vorbei und bald darauf fahren wir nicht mehr auf Asphalt sondern Arschbrett. Aber uns ist es diesmal egal. Wir werden ordentlich durchgerüttelt und ein paar Mal verliere ich sogar völlig den Kontakt mit der Sitzfläche, so sehr hüpfe ich in die Luft. Aber ich muss mir keine Sorgen um meine Felge machen und tiefen Rillen oder großen Steinen ausweichen.

Zweimal müssen wir mit einer Art Fähre bzw. Floß einen Fluss überqueren. Die zweite ist ein Highlight. Ein alter russischer Van wurde als Zugmaschine umgebaut und zieht das Floß. Der Fahrer gibt mit der Gangschaltung Gas, manövriert wird ganz „normal“ über das Lenkrad. Das Ding qualmt wie verrückt und macht einen Höllenlärm und nach 2 Minuten ist das Spektakel vorbei. Roland freut sich jetzt schon auf die Heimfahrt meint er.

Nach 1,5 Stunden Fahrt erreichen wir das Reservat. Zuerst gibt es eine Einführung durch die russische Rangerin und wir verstehen natürlich kein Wort, danach legen wir Schwimmwesten an und steigen ins Boot. Es dauert nicht lange und wir sehen den ersten Weissschwanz-Seeadler über den Fluss fliegen. Immer wieder passieren wir große Lotus Felder. Das Boot legt an und wir laufen auf einem Pfad durch einen Wald, im Wasser davor steht ca. 6m hohes Schilfrohr. Wir verstehen weder die Erklärungen der Rangerin noch was auf den Tafeln steht – schön ist es trotzdem. Bis Roland eine Schlange auf einem Baum neben dem Pfad entdeckt. Ich erschrecke kurz, aber die Rangerin meint, die Schlange sei nicht giftig. Das war dann auch schon das wildeste Tier für heute. Auf dem Rückweg mit dem Boot sehen wir nochmal einen Adler und viele große und kleine Frösche auf den Lotus Blättern. Die Blätter sind übrigens riesig und dass das Wasser komplett von ihnen abperlt stimmt tatsächlich, die Rangerin hat es ausführlich demonstriert. Zwei Stunden hat der Rundweg gedauert und auch wenn wir nichts verstanden haben, war es ein schöner Ausflug.

Der Bus nimmt wieder den gleichen Weg zurück nach Astrachan. Am Astrachaner Kreml steigen wir aus und laufen zum Hotel. Auf unserem Balkon planen wie den morgigen Tag. Es geht nach Elista, die Hauptstadt von Kalmückien.