Die Nacht war leider etwas unruhig, da ich Bauchkrämpfe und „noch was anderes“ bekommen habe. Heute Morgen ist es noch nicht wirklich besser, wir packen trotzdem zusammen, frühstücken und machen uns auf den Weg Richtung Iran. Wir hatten den Tipp bekommen, den Grenzübergang in Kapiköy zu nehmen, er ist keine 100 km von Van entfernt und die Abwicklung soll dort recht einfach sein.
Der Grenzübergang wird gerade umgebaut und so verpassen wir zuerst den schmalen Kiesweg, der von der Schnellstraße abgeht und zum Grenzübergang führt, und stehen vor einem großen leeren Gebäude. Zwei Teenager weisen uns den Weg und wir können es zuerst gar nicht glauben, dass das der Weg zur offiziellen Grenze sein soll. Rechts und links stehen Autos, Menschen räumen vollgestopfte Plastiktüten in Kofferräume oder packen Taschen und Koffer aus und verteilen den Inhalt auf dem Boden. Am Ende des Kieswegs stehen mehrere Blechbaracken, über ihnen weht die türkische und iranische Fahne.
Wir fahren in einen Innenhof, mein Blick fällt auf ein Schild über einem Fenster, hier steht auf Farsi und der englischen Übersetzung: „Vehicle Registration“. Hallelujah denke ich mir, das kann ja heiter werden. Wir stellen unsere Bikes ab und gerade als ich den Helm abnehme, kommt ein junger Polizist vorbei. Er trägt eine Pilotensonnenbrille, ein dunkelblaues Polohemd mit der Aufschrift Polis, eine dunkelblaue Hose und schwarze Stiefel. Seine Waffe steckt locker hinten in der Hose. Ich spreche ihn an und sage ihm, dass wir in den Iran wollen. Er fragt nach unseren Pässen und dem Carnet und geht mit Roland los. Von einem Schalter zum nächsten. Dann lässt er Roland mit dem Carnet an einem Schalter stehen und trägt unsere Pässe wieder hin und her. Dann will er meinen Personalausweis sehen – ich schätze, weil wir mit Personalausweis in die Türkei eingereist sind und nicht mit Reisepass.
Roland und ich hatten gewettet, wie lange die ganze Prozedur dauern wird. Ich habe eine Stunde geschätzt, Roland zwei. Inzwischen steht er seit 20 Minuten in der Schlange ganz vorne, aber immer wieder drängeln sich dreiste Männer vor ihn. Sie diskutieren laut und wedeln mit ihren Carnets in der Luft. Roland bleibt ruhig, lacht immer wieder zu mir rüber. Ich schaue das Schauspiel aus der Entfernung an und koche innerlich vor Wut. Irgendwann kann ich es mir nicht verkneifen und schnauze in seine Richtung: „Lass dich von denen nicht abdrängeln, setzt dich durch.“ Roland antwortet schmunzelnd: „Wieso, ich hab Zeit, ich will gewinnen.“
Der Polizist hat mir inzwischen alle meine Dokumente wieder gebracht. Wenigstens das hat geklappt. Roland steht immer noch an. Vor mir hält mal wieder ein Kleinbus, Passagiere steigen hektisch aus. „Ja servus, aus Passau!“ sagt auf einmal ein Mann zu mir. „Ich ko a boarisch sprechn, kim aber aus Minga.“ Ich beginne zu lachen, kann den Wahnsinn kaum glauben. Der Mann stellt sich vor, er heißt Ali, lebt in Freising und arbeitet gerade am Goethe Institut in Tabriz als Deutschlehrer.
Er diktiert mir schnell seine Handynummer und sagt, wir sollen uns melden, wenn wir Hilfe brauchen. In Tabriz oder egal wo. Roland hat alles erledigt, aber nur auf türkischer Seite. Jetzt fahren wir ein paar Meter weiter durch das rechte von zwei Metalltoren. In München würde man in einem Shabby Chic Store in Haidhausen ein Vermögen für solche Metalltore bezahlen. Hier ist das wohl echter Verschleiß.
Die iranische Grenze. Sofort stürzen fünf Soldaten auf uns zu: „Where are you from. Ah nice Motorcycle.“ Sie klopfen Roland auf die Schulter bevor er überhaupt irgendwas sagen konnte. Dann möchte einer von ihnen unsere Namen wissen. Er schreibt Pamela auf, das klappt noch ganz gut, bei Beckmann macht er eine „egal“ Handbewegung und weist uns an, unsere Motorräder abzustellen.
Roland geht mit unseren Carnet und den Pässen in ein Häuschen rein, ich soll bei den Bikes bleiben. Sofort kommen Kinder zu mir, reden auf mich ein, fassen mein Motorrad an, wollen wissen wo das „Benzin“ reinkommt, und soweit ich das verstehe, wie schnell das Motorrad fährt. Dann kommt ein Mann, mit einem Bündel Rial in der Hand zu mir, und deutet mit an, Geld zu tauschen. Ich sag sofort nein und drehe mich weg. Hin zu den penetranten Kindern. Wir tauschen unsere Namen aus und ich erkläre ihnen den Unterschied zwischen „his name“ und „her name“. Sie verstehen und wiederholen artig. 5 Minuten Schulbildung am Grenzübergang.
Es sind ungefähr 15 Minuten vergangen, als ein Mann den Kopf zu mir raus streckt und möchte, dass ich in das Häuschen hineingehe. Ha, sicher nicht denke ich mir, und winke freundlich ab. Eine Frau versucht zu übersetzen: „You, Passport.“ Aber ich denke nicht daran, mich von den Bikes wegzubewegen. Unser gesamtes Bargeld steckt in den Seitentaschen. Ich sage ihr, dass mein „husband“ meinen Reisepass hat und lächle.
Kurz darauf kommt Roland wieder raus und meint, ich soll schnell reinschauen. Der Beamte will mich sehen. Also doch. Ich ziehe den Motorrad Schlüssel hab, sag kurz hallo und dann gehe ich wieder raus zu den Bikes. Das war also die Passkontrolle. Wir dürfen ein Stückchen weiterfahren. Zu dem nächsten Beamten, der die Carnet prüft. Ali ist zum Glück da und hilft uns bei der Kommunikation. Der Beamte checkt die Motornummern, allerdings ist meine so versteckt hinter Krümmern und Sturzbügel, dass er nach kurzer Zeit abwinkt und OK sagt. Wir fahren wieder ein Stückchen weiter zum nächsten Häuschen. Inzwischen kann ich das große Eisentor sehen, das in den Iran führt. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen.
Roland verschwindet wieder mit einem Beamten und überlässt mich der Meute Kinder und dem Geldwechsler, die nur auf die nächste Gelegenheit warten, mich zu nerven. Ich übe mich in Geduld und Verständnis, rede so gut es geht mit den Kindern und warte. Bis auf einmal zwei Männer nicht weit von mir entfernt anfangen zu streiten, sich anbrüllen und dann auch handgreiflich werden. Sie ziehen und zerren aneinander bis ein Beamter sie trennt, beide anbrüllt und damit offensichtlich beruhigt. Oder einschüchtert. Ich will so schnell wie möglich hier weg.
Endlich kommt Roland raus und sagt, dass alles erledigt ist. Ich atme erleichtert auf, steige auf mein Bike. Doch noch ist das Tor zu. Roland spricht mit dem Beamten, der die beiden streitendenden Männer eben getrennt hat. Und er lässt sich bitten und hat offensichtlich Gefallen daran, seine Macht zu demonstrieren. Erst wendet er sich ein Stück ab, dann geht er langsam Richtung Tor. Holt den Schlüssel aus seiner Hosentasche. Hält kurz an und sieht sich um. Na, sehen auch wirklich alle, dass ich die Macht habe? Er schließt das Tor auf und wir fahren los. Endlich sind wir im Iran.
Und, wie lange hat der Grenzübertritt gedauert? Exakt 1,5 Stunden. Auf die Minute. Wir hatten quasi beide Recht. Wenn Verliebte eine Reise tun…
Bis Tabriz sind es 240 km und leider haben wir immer noch Probleme mit dem Navi. Die geplante Route wird zwar ordentlich angezeigt, aber sonst nichts. Rechts und links um die Routenführung ist alles weiß. Wir schaffen es trotzdem nach Tabriz, haben allerdings in der Stadt Schwierigkeiten, uns zu orientieren und das Hotel zu finden. Zwei Jungs auf einem Moped, ca. 12 oder 13, sprechen uns aufgeregt an, woher wir kommen, und ob sie ein Foto machen können. Bei voller Fahrt! Roland erklärt ihnen, dass wir ein Hotel suchen und so führen sie uns durch den wilden Verkehr zum Hotel. Nachdem wir abgeladen haben, parkt Roland die Bikes in der privaten Garage vom Manager, wir ziehen uns schnell um und suchen uns einen kleinen Imbiss, damit wir gleich wieder im Hotel sind, und das Spiel sehen können.
Man hat uns gesagt, dass es im Iran kein Public Viewing gibt, aber in dem Laden steht ein kleiner Röhrenfernseher und so sitzen wir bald mit drei Brüdern und einem Teenager-Sohn Ali zusammen und schauen das Spiel an. Ali spricht etwas Englisch und wir unterhalten uns natürlich vor allem über Fußball. Sie kennen Klinsmann und Matthäus. Na dann wissen sie ja so gut wie alles über den deutschen Fußball. Beim Elfmeter für Iran stehen alle zusammen und schauen gebannt in den Fernseher. Was für ein Jubel, als Iran den Elfmeter versenkt, auch wenn es trotzdem nicht reicht, um weiterzukommen.
Als wir gehen, möchten sie kein Geld von uns. Wir spielen das Nein-Doch Spiel bestimmt sechs- oder siebenmal, aber sie bleiben dabei: Wir sind heute ihre Gäste und müssen nicht bezahlen. Die Gastfreundschaft, die wir bereits aus der Türkei kennen, geht im Iran weiter.