Eine Nacht auf dem Jailoo

Die Nacht war kalt. Um die 0°C sagt Vincent. Ich hab nicht gefroren, aber die beiden Männer. Ich hatte mich vor der Reise ausführlich über Schlafsäcke informiert und dann einen aus Daune bis -1°C Komfort gewählt. Daune benötigt etwas mehr Pflege als Kunstfaser, wärmt aber besser und ist auch vom Packmass her kleiner. Mein Schlafsack bekommt von mir die volle Punktzahl.

Wir haben unsere Zelte ziemlich weit weg vom See aufgestellt. Das hatten wir gestern bei unsere Ankunft nicht richtig einschätzen können. Lieber zu weit weg als morgens im Wasser aufwachen denke ich mir. Und der Blick ist trotzdem schön!

Unser Frühstück ist gigantisch, da wir in Naryn eingekauft hatten. Kaffee, Tee, Saft, Brot, Aprikosen, Tomaten, Gurken, Käse, Joghurt. Entsprechend lang sitzen wir und diskutieren über die Route, die wir zum Issykul fahren. Ich hab auf der Karte eine Straße entdeckt, die zuerst östlich verläuft, an einem 4.000er Gipfel vorbei und dann nach Norden zum See führt. Diese Route wird es. Es sind gut 250 km, d.h. wir sollten irgendwo vorher tanken, denn unser Sprit inkl. Kanister reicht noch für ca. 220-250km meint Roland…

Wir nehmen vom See weg den Kalmak-Pass und fahren dann ein Stück auf der A365 bis zum nächsten Ort Sarybulak. Leider gibt es hier keine Tankstelle. Man sagt uns, wir müssten zurück nach Naryn, da auf unserer Route nichts mehr kommt. Gar nichts mehr. Naryn wäre ein Umweg von 70km, worauf wir echt keine Lust haben. Also Risiko. Wir sind zu dritt, wenn einem von uns der Sprit ausgeht, finden wir schon irgendwie eine Lösung.

Der Track ist ein Traum. Endurowandern vom Feinsten. Auf einem fest gefahrenen Feldweg überqueren wir einen Berg nach dem anderen, immer wieder sehen wir große Herden Pferde, Schafe und Ziegen auf den grünen Hängen. Kühe stehen selten auf den Wiesen, meistens tauchen sie urplötzlich hinter einer Kurve auf unserer Fahrspur auf und gehen auch nur sehr ungern auf die Seite. Euter voraus! warnen wir uns dann durch die Helmkommunikation

Wir halten oft, genießen den Ausblick auf die umliegenden Berge und machen Fotos. An einem klaren Gebirgsbach füllen wir unsere Wasserflaschen auf. Gegen Spätnachmittag wird der Track schwieriger. Steil und steinig mit ein paar Wasserdurchfahrten. Dann wird er zu einer schmalen Serpentinenstraße mit viel Schotter, die immer weiter den Berg hinauf führt. Ich übernehme die Führung, es fällt mir leichter die richtige Spur zu finden, wenn ich voraus fahre.

Aus Endurowandern wird Endurobergsteigen. Der Track wird immer heftiger und wir kommen nur langsam voran, müssen die Bikes durch Passagen voller Geröll manövrieren. Rechts neben uns Gletscher. Wir sind bereits auf über 3.000m. Es dämmert. Noch 60 km bis zum Issykul. Es ist anstrengend. Zuerst schmeissst es mich, dann Vincent. Es ist nichts passiert, aber ich merke, wie Kraft und Konzentration nachlassen. Für die letzten 10 km haben wir fast eine Stunde gebraucht.

Es ist bereits dunkel, als wir an zwei Jurten vorbei fahren. Der Track führt durch den Fluss unterhalb der Jurten. Ich fahre langsam und mit Fernlicht durch matschige Furchen den Hang hinunter. Unten ankommen ist uns allen sofort klar, dass wir diesen Fluss heute nicht überqueren. Wir leuchten ihn mit unseren Bikes ab. Er ist zu tief und das Ufer fällt zu steil ab. Roland läuft ein Stück flussabwärts und sucht mit der Taschenlampe einen Weg, findet aber nichts. Wir müssen für heute aufgeben und wollen gerade weiter oben einen Platz für die Zelte suchen, als uns zwei Männer entgegen kommen. Sie sprechen kein Englisch aber deuten uns, wir sollen hoch zur Jurte kommen. Gedankenübertragung. Mit letzter Kraft prügel ich Zicki nach oben. An der Jurte empfangen uns eine Frau, zwei Kinder und 4 Hunde. Unsere Zelte sollen wir nicht aufbauen, die Männer meinen es regnet heute Nacht. Wir sollen mit ihnen zusammen in der Jurte schlafen. Ich wehre mich nicht. Hauptsache irgendwo schlafen.

Kaum in der Jurte, macht uns Gibek, die junge Frau, Abendessen. Salat, Brot, frische Butter aus Kuhmilch, eine Marmelade aus Aprikosen und natürlich Cay. Wir essen zusammen mit ihr und den Kindern am Tisch in der Mitte der Jurte, die Männer sitzen etwas entfernt am Eingang. Die Kinder, das sind Began der 9jährige Sohn und die 1,5 Jahre alte Aitunuk. Gibeks Mann heisst Ulan, der andere Taku. Sie sind Halbnomaden, d.h. sie leben den Sommer über von Juni bis September hier oben in den Bergen auf der Sommerweide – genannt „Jailoo“ auf kirgisisch.

Wir verständigen uns mit Händen und Füßen aber wie immer klappt das ganz gut. Vincent zeigt ihnen Bilder von Italien und Frankreich an seinem iPad, dann essen die Männer. Ulan holt einen Teller von der Kommode, darauf ein gekochter und halb abgefressener Schafschädel. Ich versuche meine Mimik zu beherrschen. Ulan nimmt ein Messer, schneidet Fleisch ab und gibt es Vincent. Würg. Kalter Schafskopf wie ekelhaft. Vincent macht auch kein allzu begeistertes Gesicht, isst aber tapfer. Als Ulan mir ein Stück anbietet, lehne ich dankend aber bestimmt ab. Keine 10 kirgisischen Pferde bringen mich dazu, sowas aus Höflichkeit zu essen.

Roland und ich gehen draußen Zähne putzen. Es ist finster, kein Mond ist zu sehen aber unglaublich viele Sterne und die Milchstraße. Roland nuschelt mit Zahnbürste im Mund: Ich zeig dir was, aber erschrick nicht. Er leuchtet mit der Stirnlampe schnell nach links und sagt: „Somebody is watching you.“ Mindestens 200 Schafaugen sind auf uns gerichtet. Keine 5 m entfernt von uns ist eine riesige Herde. Ich lache und verpruste dabei etwas Zahnpasta. Die Schafe hatte ich noch gar nicht bemerkt.

Als wir in die Jurte zurück kommen, hat Gibek den Tisch weggeräumt und die Matten zum Schlafen ausgelegt. Ich liege ganz links außen, neben mir Roland, dann Vincent. Es folgen die Kinder und die Männer. Als wir alle auf den Matten liegen, bereitet Gibek noch schnell einen Brotteig vor, sie verknetet dazu Mehl und Wasser in einer Plastikschüssel und legt eine andere darüber. Der gute Hefeteig. Dann legt sie sich ebenfalls auf die Matte, ihr Mann Ulan schaltet das Licht aus und wir sagen uns alle good night.

Obwohl ich hundemüde bin, kann ich lange nicht einschlafen. Zu viele Gedanken schwirren in meinem Kopf. Was für ein verrückter Tag. Die anstrengende Fahrt, die großartige Landschaft und am Ende die volle Dröhnung kirgisischen Nomadenlebens. Immer wieder bellen die vier Hunde lautstark und laufen los. Irgendwann höre ich auch ein Pferd wiehern. Zugern würde ich sehen, was genau draußen los ist. Es ist bereits nach 2 Uhr als ich zum letzten Mal auf mein Handy sehe.

Über Tash Rabat zum Songköl See

Heute Morgen gibt’s nur Kaffee. Wir hatten gestern keine Gelegenheit mehr Brot einzukaufen. Bleibt mehr Zeit für die Reparatur. Roland montiert den rechten Spiegelfuß auf die demolierte linke Seite und der linke Protektor wird rechts mit Draht befestigt. Sobald wir wieder in einer größeren Stadt mit Basar sind, will Roland den Tankrucksack nähen lassen. Für die nächsten Tage muss Klebeband ausreichen.

Wir setzen unseren Weg auf der Arschbrettstraße (sorry Mama für den Ausdruck) fort. Das kann einem ganz schön die Stimmung verhageln, vor allem wenn man nichts zum Frühstück hatte. In dem nächstgrößeren Ort Baetov halten wir daher an einem  kleinen Laden an und kaufen Brot, Käse, Trinkjoghurt und Kekse. Während wir frühstücken, checkt Roland den Luftdruck von seinem Hinterreifen, irgendwie fährt sein Bike komisch meint er. Und tatsächlich, der Reifen verliert ordentlich Luft. Da ich keine Zeit verlieren möchte, frage ich die Taxifahrer am Eck, ob man hier einen Reifen reparieren kann. Wie? Ich zeige auf den Reifen, mache ein Pffffft Geräusch und sage „Reparatur“. Sie verstehen was ich meine. Sofort stehen fünf, sechs Mann um Rolands Bike, tasten den Reifen ab und reden wild durcheinander. Dann meinen sie, dass es eine „Reparatur“ hier im Ort gibt, aber der Typ ist zu Mittag (Arme bilden zuerst ein X, dann wird symbolisch Essen in den Mund geschoben. Das Zeichen kennen wir schon, gibt es als Variante auch mit „Beten“  statt „Essen“). Wir besprechen uns mit Vincent, er kann gern vorfahren nach Tash Rabat und wir treffen uns dann auf dem Rückweg zum Song-Kul See. Er verneint, er bleibt lieber bei uns und wir fahren später zusammen, wenn der Reifen repariert ist. Vincent hat wirklich eine Engelsgeduld. Davon könnte ich mir eine Scheibe abschneiden.

Die Männer sind zurück und kippen Wasser über den Reifen und suchen nach dem Loch. Roland weiß gar nicht wie ihm geschieht und es tut mir fast ein bisschen leid, dass ich mich eingemischt habe und jetzt Wildfremde an seinem Bike rumdoktern. Aber er lässt es über sich ergehen und rollt das Bike vor und zurück, damit die Männer den gesamten Reifen abtasten können. Als sie wieder Wasser holen, wage ich mich auch mal ran. Ich halte mein Ohr an den Reifen und höre sofort das Geräusch von entweichender Luft. Ein Stück vor sage ich und finde das Loch mit dem Stein drin. Freude ist vielleicht das falsche Wort in diesem Zusammenhang aber irgendwie „freut“ es mich, dass ich das Loch entdeckt habe. Ich packe unser Reparatur-Set aus. Einer der Männer nimmt es sofort an sich, drückt die Kautschuk-Wurst mit dem Werkzeug in das Loch und verklebt es. Zack erledigt. Roland füllt mit dem Airman Luft nach. Der Reifen hält. Wir können weiterfahren, was für ein Glück!

Unser erstes Ziel ist heute Tash Rabat, die Karawanserei aus dem 15. Jahrhundert. Die Route, die Vincent ausgewählt hat, ist fantastisch. Wir fahren wieder abseits der geteerten Straßen und außer ein paar wenigen Jeeps und zwei Bikern aus Italien treffen wir auf keine Menschen. Das Wetter ist perfekt, nicht zu heiß aber schön sonnig. Die Wasserdurchfahrten, die auf dem Track liegen sind easy machbar – ich möchte mir nicht vorstellen, wie die Flüsse hier aussehen, wenn es mal ein paar Tage geregnet hat.

Der Pass, den wir überqueren liegt wieder auf über 3.000m. Kurz danach erreichen wir Tash Rabat. Oha. Was für ein Menschenauflauf. Ziemlich ungewöhnlich. Ein Reisebus steht auf dem Parkplatz. Eine Gruppe koreanischer Touristen hat sich die Karawanserei angesehen und steht jetzt am einzigen Souvenierstand. Wir unterhalten uns kurz mit einem Koreaner, bevor der Reisebus wieder abfährt. Jetzt sind wir wieder alleine hier. So mag ich das. Vincent und ich sehen uns die historische Stätte an, Roland möchte nicht. Tash Rabat unterscheidet sich in zwei wesentlichen Punkten von allen anderen Karawansereien, die ich bisher gesehen habe: Sie ist erstens nicht aus Lehm sondern Stein und ist zweitens deswegen unglaublich gut erhalten.

Lange halten wir uns allerdings nicht dort auf, wir haben noch knapp 250 km vor uns und ja, wen wundert’s, uns läuft mal wieder die Zeit davon. Die Reifenreparatur hat uns über eine Stunde gekostet. Es ist 18 Uhr, als wir in Tash Rabat wieder Richtung Norden aufbrechen. Zwar auf Asphalt, aber trotzdem brauchen wir über zwei Stunden, bis wir nach Naryn zur Abzweigung gelangen, die uns wieder in die Berge und auf einen Offroad Track Richtung Songköl, zum zweitgrößten Bergsee Kirgisistans, bringt. Der Track wäre ein Traum, wenn ich was sehen würde. Es ist finstere Nacht, als wir die 33 Haarnadelkurven und den über 3.500m hohen Pass erklimmen. Die Straße ist eng und steinig, ich muss mich höllisch konzentrieren, nicht auf einen Felsen oder noch schlimmer den Abhang runter zu fahren. Ich schwitze und fluche und bereite Roland darauf vor, dass ich heute NICHT mehr kochen werde. Hunger hin und her.

Noch später als gestern erreichen wir unser Ziel. Der Songköl liegt auf 3.000 m. Es hat 4,5°C. Zum Glück habe ich mir vor der Reise einen warmen Daunenschlafsack und eine isolierende Daunen-Isomatte gekauft. Wir bauen unsere Zelte auf, ich putze Zähne und lege mich sofort in meinen warmen Schlafsack. Vincent und Roland kochen sich noch eine Suppe und trinken ein wohlverdientes Arpa (kirgisische Biersorte). Ich schlafe bereits tief und fest, als Roland später ins Zelt krabbelt.

Spaghetti um Mitternacht

Ganz im Süden, direkt an der chinesischen Grenze liegt der kleine See Chatyr-Kul und in der Nähe auf 3.000m die Karawanserei Tash Rabat aus dem dem 15. Jahrhundert. Vincent schlägt vor, dass wir zuerst zur Karawanserei fahren und dann am See Zelten. Es sind 400 km. Das wird ein langer Tag.

Wir fahren zuerst ein Stück Richtung Osh zurück und biegen nach ca. 50km von der Asphalt Straße nach Osten ab. Ab jetzt bewegen wir uns nur noch offroad. Die breite Pass-Straße windet sich in langen Kurven um den Berg und auf der gegenüberliegenden Seite des Berges sehen wir den ersten Schnee.

Die Landschaft ist ganz anders als in Tadjikistan. Statt schroffen, grauen Felsen sieht man in Kirgisistan grüne und mal braune Bergketten, die sich unendlich weit erstrecken. Über 90% des Landes liegen über 1.500m, das heisst man befindet sich quasi immer in den Bergen. Nahezu perfekt – leider sind die Straßen oft ein Albtraum. So auch diese hier. Arschbrett sagen Roland und ich dazu. Hartes Waschbrett mit feinstem Kies. Man wird unendlich durchgerüttelt und eingestaubt.

Als wir den Pass auf 3.300m überqueren ist es kurz vor 17 Uhr und es beginnt zu dämmern. Noch liegen über 200 km und ein 2. Pass vor uns. Wenn die Straße genauso weiter verläuft, schaffen wir es nie und nimmer bis zum See. Es bleibt beim Arschbrett und wir quälen uns weiter. Kilometer für Kilometer. Vincent fährt voraus, ich in der Mitte. Plötzlich höre ich Roland schreien. Nein, scheiße nein! gefolgt von einem lauten Ahhhhhhh! Er ist gestürzt. Ich drehe hektisch um. Roland steht schon wieder neben seinem Bike, ich will wieder umdrehen, um in der richtigen Fahrtrichtung zu stehen und zack – jetzt liege ich auch. Zwischen den beiden Fahrbahnen wurde eine Begrenzung aus Kies und Steinen aufgeschüttet, die an dieser Stelle so hoch ist, dass ich einfach stecken geblieben bin. Roland ist es ähnlich ergangen, er ist mit dem Vorderrad über die Begrenzung gekommen und das Hinterrad blieb auf der anderen Fahrspur. Wir haben das beide in der Dämmerung und mit den verstaubten Visieren schlichtweg übersehen. Blöder Fehler. Roland und seine nineT hat es ein bisschen mehr erwischt. Der linke Handprotektor ist abgerissen weil der Fuss vom Spiel abgebrochen ist. Außerdem hat sie diverse Kratzspuren an Windschild und Verkleidung und der Tankrucksack ist aufgerissen. Roland selbst hat sich vermutlich die Rippen ein bisschen geprellt und der Ellbogen tut ihm weh. Zum Glück nichts Ernstes. Ich gebe ihm trotzdem Arnica Globuli. Wir stecken die losen Teile ein, Roland klebt den Tankrucksack mit Klebeband zu und wir fahren weiter.

Es wird immer später und ist bereits stockdunkel. Ich bin müde und genervt, weil wir einen schönen Pass fahren aber nichts von der Landschaft sehen und Rolands Stimmung ist aus gegebenem Anlass auch nicht die Beste. Wir besprechen uns mit Vincent und auch ihm ist klar, dass wir es nicht zum See schaffen werden. Also suchen wir ab jetzt irgendwo auf der Strecke einen Platz zum Übernachten. Vincent entdeckt irgendwann einen kleinen Feldweg, der zu einem verlassenen Haus mit Stall führt. Dort bauen wir im Dunkeln die Zelte auf und kochen. Es geht doch nichts über eine ordentliche Portion Spaghetti um Mitternacht, während über einem Millionen von Sterne funkeln. Ein schöner Abschluss für einen anstrengenden Tag. Zufrieden gehen wir drei ins Bett.

Wandern in Arslanbob

Es dauert, bis wir alles gepackt haben. Also bei Roland und mir. Vincent war bereits kurz nach dem Frühstück fertig und wartet auf uns. Um 13 Uhr fahren wir los.

Unser heutiges Ziel Arslanbob ist nicht weit von Osh entfernt und die Strecke verläuft ausschließlich auf relativ gutem Asphalt. Um 16.30 stehen wir im CBT, dem Community Based Tourism Büro von Arslanbob, um uns ein Homestay auszusuchen. An der Wand im Büro hängen eine Karte, Bilder und Beschreibungen und der nette Mann vom CBT empfiehlt uns Nummer 12. Dort schickt er alle Biker hin, weil man sich in dem großen Garten so gut entspannen kann. Das klingt prima, auch wenn wir heute gar nicht entspannen wollen – wir sind ja kaum gefahren.

Im Homestay 12 beziehen Roland und ich ein großes Doppelzimmer, Vincent ein Bett in einem 4er Zimmer. Der Garten des Homestay ist wunderschön grün, voller Blumen und Bäume und am Ende liegen 2 große mit Teppich ausgelegte Terrassen. Ein gelber Vorgang schützt vor der Sonne. Es ist wirklich sehr gemütlich hier.

Touristen kommen nach Arslandbob wegen der schönen Natur. Es gibt zwei Wasserfälle und den angeblich größten, natürlich gewachsenen Walnuss-Wald der Welt. Den kleinen Wasserfall und den Wald kann man gut mit einer Wanderung verbinden, die ca. 3 Stunden dauert. Wir laufen kurz vor 18h los und machen mit unserer Gastgeberin aus, dass wir um 20.30 Uhr zum Essen zurück sind.

Zum kleinen Wasserfall ist es nicht sehr weit. Die letzten 50m sind gesäumt mit Souvenier-Shops, der Tourismus ist auch hier angekommen. Der Wasserfall an sich ist gar nicht so klein, 23m stürzt er in die Tiefe. Über eine unglaublich wackelige und rostige Brücke kann man ganz nah an ihm vorbeilaufen und pitschnass werden.

Auf der anderen Seite angekommen, steigen wir eine steile Treppe empor und gehen auf einem schmalen Wanderweg in Richtung Walnuss-Wald. Es ist weiter als gedacht und die Sonne geht gerade hinter einem Berg unter, als wir kurz vor dem Eingang des Waldes stehen. Wir haben noch nochmal die Hälfte der Strecke geschafft und sollen in einer Stunde wieder im Homestay sein. Egal ob mit dem Motorrad oder zu Fuss, es passiert uns viel zu oft, dass wir Strecken unterschätzen.

Irgendwann meint Roland, eine Abkürzung auf der Karte zu erkennen und wir verlassen den eigentlichen Wanderweg. Hier hätten meine Alarmglocken läuten sollen. Ich erinnere mich noch gut an einen Familienurlaub in Frankreich. Ich war damals vielleicht 12 und mit meinen Eltern und jüngeren Schwestern auf dem Weg zum Strand. Vollgepackt bis obenhin mit Badesachen liefen wir in der Mittagssonne durchs Gebüsch. Mein Vater meinte, er kennt eine Abkürzung. Am Ende waren wir zwei Stunden unterwegs, bis wir endlich in der Bucht ankamen.

Heute ist es ähnlich. Roland, Vincent und ich laufen querfeldein, über Kartoffelfelder, durch Apfelbaumplantagen und durch mannhohes Gras, wir steigen über Zäune und krabbeln durchs Unterholz. Alle drei in kurzer Hose, Roland und ich tragen Trekkingsandalen. Ich will gar nicht wissen, wie viele Zecken und Spinnen gerade an meinen Beinen krabbeln und fordere bei Roland eine ausgiebige Leibesvisitation ein, sobald wir im Homestay sind.

Es ist dunkel, als wir endlich auf den eigentlichen Wanderweg zurückfinden. Weitere 30 Minuten laufen wir einen Berg hinunter, inklusive Panoramablick auf ein beleuchtetes Arslanbob. Um 21.30 Uhr – mit einer Stunde Verspätung – erreichen wir endlich unser Homestay. Unsere Gastgeberin erwartet uns bereits sehnsüchtig mit dem Essen. Wir verschlingen den „Pichelsteiner Eintopf“ wie Roland das Gericht nennt und gehen alle drei anschließend zügig ins Bett.