Aus zwei Gründen bin ich bisher nie die R 1200 GS gefahren – und ich hätte schon einige Male Gelegenheit dazu gehabt.
- Ich hatte Angst vor der komplexen Technik. Dass ich aus Versehen irgendeinen Knopf drücke, eine Einstellung verändere und das Ding mit mir durchgeht.
- Ich hielt mich mit meinen 1,65m für zu klein für die große GS.
Beides Blödsinn, wie sich letztes Wochenende herausgestellt hat. Es gibt für alles eine Lösung. Und in meinem Fall war die Lösung ein Endurotraining beim Enduro Action Team in der Nähe von Leipzig. Zusammen mit Barbara, Amelie, Liane und Sandra hatte ich ein 2-Tages-Individualtraining gebucht. Mit der neuen R 1250 GS!
Ich habe den Gründer des „Enduro Action Teams“ Robert Loschütz vor ein paar Jahren beim BMW Motorrad Testcamp in Almeria kennen gelernt – damals hat Rob noch im Verkauf in der BMW Motorrad Niederlassung in Leipzig gearbeitet. Letztes Jahr hat er den Job aufgegeben, um sich ausschließlich seiner Leidenschaft, dem Endurofahren, zu widmen. Was für eine großartige Entscheidung und Glück für uns, die wir die nächsten zwei Tage bei und mit ihm trainieren dürfen.
Freitag nach der Arbeit hetze ich also heim, packe in Windeseile meine Moped-Sachen und lade alles zu Barbara ins Auto. Danach holen wir Sandra ab, die bereits am Straßenrand auf uns wartet – vor ihr eine vollgestopfte blaue Ikea Tüte – und los geht’s Richtung Leipzig! Es ist eine lustige Fahrt, wir freuen uns alle auf das Training, das für uns auch quasi der Saisonstart ist. Das letzte Mal saß ich im Oktober auf einem Moped, einer Indian und bin den PCH1 rauf und runter gedüst. Nach gut vier Stunden Fahrt erreichen wir unser Hotel in Schmannewitz. Die Vorfreude auf das Training verschwindet schlagartig, als ich beim Ausladen des Autos merke, dass ich meine Motorradjacke und –hose vergessen habe. Wie kann man eigentlich so doof sein! Ich hab Helm, Stiefel, Handschuhe und alle Protektoren dabei, aber Hose und Jacke liegen noch daheim auf dem Bett. Ich muss dazu sagen, dass die Nacht von Donnerstag auf Freitag recht kurz war, weil ich noch auf ein paar Drinks in der Dive Bar war. Das erklärt zwar meine Zerstreutheit, aber saublöd ist es trotzdem. Ich beichte Rob das Malheur per WhatsApp. Sein Anruf erfolgt umgehend. Er hat zwei Hosen daheim, Größe S und M, die er morgen seinem Mitarbeiter Volker mitgeben wird, der uns vom Hotel abholt und zu den Bikes bringen wird. Glücklicherweise hat Barbara eine zweite Jacke dabei, die mir passt. Halbwegs beruhigt gehe ich ins Bett.
Pünktlich am nächsten Tag um 8:30 Uhr fährt Volker in seinem roten VW Bus vor. Die Hosen für mich hat er dabei und siehe da, Größe S passt, wenn ich den Gürtel ganz eng schnalle. Glück gehabt! Volker bringt uns vier – mittlerweile haben wir auch Amelie und ihren Freund Chris getroffen – zum Treffpunkt ins „Gasthaus zu den Schildbürgern“ für das Briefing. Und da stehen sie: 25 nagelneue R 1250 GS HP. Was für ein Anblick! Die Sonne scheint, mein Herz hüpft. Ich mache die erste Sitzprobe auf meiner tiefergelegten Version. Hui, denke ich mir, sie ist immer noch ziemlich hoch im Vergleich zu meiner F 650 GS. Da musst du jetzt durch, sage ich zu mir. Das klappt schon, Rob hat es dir versprochen. Beim Briefing treffen wir die restlichen Teilnehmer. Bis auf Liane, die fünfte in unserer Truppe, sind es nur Männer. Rob erklärt uns zuerst einige grundsätzliche Verhaltensregeln, stellt die anderen Instruktoren vor und verteilt im Anschluss die Schlüssel für die GS. Liane, Amelie, Sandra und ich sind zusammen in einer Gruppe, da wir alle ungefähr auf dem gleichen Level fahren. Barbara war noch nie Offroad unterwegs und wird daher auf eine G 310 GS und in eine Anfänger-Gruppe zu Bob gesteckt.
Wir fahren gruppenweise vom Gasthaus zum Offroad-Park. Ich sitze zum ersten Mal auf einer GS und bewege stolze 250 kg durch die Straßen von Meltewitz. Ich bin noch keine 500m gefahren, habe gerade mal in den 2. Gang geschaltet und muss schon grinsen. Das geht ja gut los. Der Boxermotor gefällt mir schon immer besser als der Paralleltwin – optisch und vom Sound her sowieso, aber das Fahrgefühl ist auch ein ganz anderes. Während ich auf meiner kleinen Zicki den Motor kaum wahrnehme, spüre ich die volle Kraft des 136 PS starken Boxermotors deutlich. Mühelos bewege ich die GS um die Kurven und stelle dabei fest, wie leicht sie sich handeln lässt und wie bequem ich auf ihr sitze. Dass die Ergonomie auch für meine Größe so gut geeignet ist, hatte ich ehrlich gesagt nicht erwartet. Vom Eingangstor bis zur „Basis“ im Park nehmen wir die ersten Meter auf losem Untergrund. Ich schalte in den Enduro Pro Modus und gebe leicht Gas. Hinter mir staubt es.
An der Basis angekommen die erste Schrecksekunde, als ich beim Parken nicht wie erwartet mit dem Fuß auf den Boden komme. Die GS kippt so weit nach links, dass ich sie nur Kraft meiner Gedanken (kein Witz!) und mit viel Glück gerade noch halten und wieder aufrichten kann. Wie peinlich wäre das denn gewesen, wenn sie mir hier vor allen anderen Teilnehmern umfällt. Rob erkennt mein Problem sofort und tauscht den Seriensitz gegen einen niedrigen. Jetzt haben wir das volle Potenzial ausgeschöpft: Tieferlegung, niedriger Sitz und entsprechende Fahrwerkseinstellung.
Nach einer kurzen Aufwärmrunde sind wir bereit fürs Training. Rob fährt mit uns, den 4 Mädels, zum Übungsplatz und wir starten mit den ersten Übungen: Rechts- und Linkskurven, am Lenkeranschlag wenden, Anfahren auf verschiedenen Untergründen, Kupplung schleifen lassen. Zur praktischen Anwendung drehen wir anschließend ein paar Runden durch den Park, bevor wir uns zum Mittagessen mit den anderen Gruppen im Gasthaus „Zu den Schildbürgern“ treffen. Wir sitzen draußen am See und genießen das gute Essen und herrliche Wetter und tauschen die ersten Erfahrungen mit der neuen GS aus. Auf dem Rückweg in den Park fahren wir eine gute Stunde kreuz und quer durch die wunderschöne sächsische Landschaft, auf schmalen Pfaden durch Wälder und brettern auf Schotterwegen an Feldern und Wiesen entlang. Zurück im Park widmen wir uns wieder unserem Training, es folgen weitere Übungen, wie Brems- und Beschleunigungstechniken. Ich habe mittlerweilse ein super Gefühl für das Bike entwickelt und vertraue ihr total. Es ist unglaublich wie leicht sich die 250kg auf jedem Terrain bewegen lassen und es passiert doch tatsächlich, dass ich einen kleinen Mini-Powerdrift hinlege. Zumindest fühlt es sich so an, denn das Hinterrad dreht durch und ich meine, dass das Heck ein paar Zentimeter nach vorne gekommen ist. Der krönende Abschluss unseres ersten Trainingtages ist das Shooting mit Wheels and Vibes, das Barbara und ich im Februar auf der IMOT gewonnen hatten. Es ist bereits nach 18 Uhr, das Licht ist perfekt, die Landschaft um uns herum schimmert rot-gold. Die beiden Fotografen Marco und Andreas haben mehrere Locations ausgewählt, an denen sie uns und die Bikes in Szene setzen. Ich bin ziemlich fertig vom Training – was man mir auch ansieht. Ein großes Kompliment daher an die beiden Fotografen. Was sie gezaubert haben, ist wirklich großartig.
Tag 2 unseres Trainings beginnt wieder relativ zeitig. Rob holt uns nach dem Frühstück im Hotel ab und wir fahren gemeinsam in den Park, wärmen zuerst uns wieder auf und starten dann mit einer gemütlichen Fahrt durchs Gelände. Es ist wieder ein herrlicher Tag, die Sonne scheint und die große GS und ich harmonieren auch heute ganz wunderbar miteinander. Wir machen diverse Übungen, u.a. erklärt Rob, wie man richtig driftet. So richtig klappt es bei keiner von uns auf Anhieb, aber die Anfänge sind gemacht: Ich schaffe es, dass das Hinterrad relativ gleichmäßig im Wechsel blockiert und durchdreht. Und wieder bin ich hocherfreut, wie gut ich die dicke Lady beherrschen kann. Es folgen weitere Übungen und kurz bevor wir zum Mittagessen aufbrechen, zeigt uns Rob eine Stelle im Park, von wo aus man über den gesamten See im Steinbruch sehen kann. Die Szenerie ist unglaublich, der See unterhalb der steilen Felsen ist türkis bis tiefblau. Es fühlt sich eher nach Kanada als nach Sachsen an. Es ist der perfekte Ort für eine kurze Verschnaufpause.
Nachmittags drehen wir wieder eine große Runde außerhalb des Parks durch die sächsische Landschaft und erreichen eine alte Mühle auf einer Anhöhe. Hier wartet zur Überraschung Volkers Frau Bärbel mit selbstgebackenem Kuchen und Kaffee auf uns. Nachdem wir uns gestärkt haben, geht es weiter querfeldein bis wir in einen zweiten Steinbruch gelangen. Hier komme ich endlich zu meiner eigentlichen Lieblingsdisziplin beim Endurofahren: Wasserdurchfahrten. Ich liebe es, mit Vollgas durchs Gewässer zu heizen. Und die Pfütze vor mir ist nicht klein. Mein kleines Enduroherz schlägt schneller. Viermal darf ich mit der GS durchs Wasser pflügen, allerdings ermahnt mich Rob nach dem ersten Mal, nicht noch schneller zu werden, da mein Vorderrad bereits geschwommen ist. Hatte ich gar nicht gemerkt, ich hab mich total professionell darauf konzentriert, wie hoch das Wasser spritzt. Pitschnasse bin ich am Ende, was mich allerdings nicht daran hindert ein letztes Mal den Weg durchs Wasser zu nehmen, diesmal zusammen mit Sandra, Amelie und Liane. Das Foto, das hier entsteht, ist episch. 4 Mädels, 4 GS, 544 PS.
In den letzten Jahren habe ich einige Endurotrainings gemacht, alle waren prima und haben mir viel gebracht in Puncto Fahrtechnik. Aber in den zwei Tagen hier beim Enduro Action Team habe ich nicht nur gelernt, wie man eine R 1250 GS sicher durchs Gelände bewegt sondern dass es vor allem darauf ankommt, dem Motorrad zu vertrauen und an sich selbst und seine eigenen Fähigkeiten zu glauben. Denn erst dann fängt der Spaß so richtig an!
Weitere Infos zum Angebot vom Enduro Action Team findest du hier: https://www.enduroactionteam.com/
Danke an Marco und Andreas für die wunderschönen Erinnerungs-Fotos: https://wheels-and-vibes.com/