Tag 10: Eine Nacht am See

Von Popayan bis La Laguna de la Cocha sind es es gut 300 km. Berg rauf, Berg runter, Berg rauf, Berg runter meint Anita. Das bedeutet zum einen viele Kurven und zum anderen starke Temperaturwechsel. Von nebligen 13°C bis 33°C Sonnenschein ist heute alles dabei. Außerdem unglaublich viel Regen, der nie lange anhält aber dafür umso heftiger ist. So ist das eben im tropischen Regenwald.

Das erste Stück auf der berühmten Panamericana, die vom nördlichen Kolumbien bis nach Ushuhaia geht, macht keinen Spaß. Außer man steht auf den besonderen Adrenalinkick. Immer wieder überholen wir Trucks in der kurvigen Strecke. Anstrengend ist es vor allem dann, wenn um einen auch noch langsame Mopeds wuseln oder entgegen kommende Trucks nicht ihre eigene Spur halten und bedrohlich nah an einem vorbeirauschen. Immer wieder laufen Menschen mit Koffern am Straßenrand. Flüchtlinge aus Venezuela, die auf dem Weg nach Ecuador sind. Da Kolumbien kaum mehr Flüchtlinge aufnimmt, laufen sie so weit, bis sie eine neue Heimat und Arbeit finden. Und das kann schonmal im entfernten Ecuador sein. Von Caracas bis Quito sind es 2.500 km, nur um eine Vorstellung zu bekommen, welche Strecke diese Menschen zu Fuß zurücklegen. Oder sie hängen sich hinten an einen Truck, wie ich bei einem Überholvorgang mit Erschrecken feststellen musste.

Ich bin froh, als wir nach einer Stunde von der Hauptstraße abbiegen Richtung Osten. Diese Straße ist viel schmaler und es hat deutlich weniger Verkehr, das Fahren ist deutlich entspannter. Außerdem scheint endlich wieder die Sonne. Da macht Kurven jagen gleich viel mehr Spaß. Und was das hier für Kurven sind! Ich fahre mich mal wieder schwindelig. Erfreulicherweise ist in Kolumbien jede Kurve mit einem entsprechenden Schild ausgezeichnet. Es gibt hier Pfeile in alle Richtungen und in jeder nur denkbaren Form. Mein Lieblingspfeil ist ein umgedrehtes U. Das sind die fiesen 360°C Kurven, die zu machen und in die man sich nochmal extra reinlegen muss. Ich denke, der Kurvenbeschilderung widme ich einen eigenen Post.

Wir halten an einem kleinen Stand am Straßenrand an, um frischen Kumis zu probieren. Hilfe, das kenne ich aus Kirgisistan – das ist doch vergorene Stutenmilch! Anita erklärt, dass es sich bei dem Kumis hier um Joghurt aus Kuhmilch handelt. Und zwar gezuckert. Natürlich! Tatsächlich schmeckt der Kumis-Joghurt sehr gut und weil wir uns so nett mit dem Betreiber unterhalten, führt er uns hinter seinen Shop und den angrenzenden Schuppen und zeigt uns, wie Kumis hergestellt wird. Zum Glück habe ich das Szenario nicht gesehen, bevor ich den Joghurt gegessen habe. Hinter dem Schuppen sieht es wild aus, eine Frau sitzt zwischen allerlei Gerümpel auf dem Boden und rupft ein Huhn, daneben liegen weitere tote Hühner noch in vollem Federkleid. Unter einem Verschlag rührt eine Frau mit einem riesigen Holzlöffel in einem 50l Topf die kochende Milch. Daraus wird also Kumis. Der Betreiber sagt, ganz ohne Chemie. Bevor wir weiterfahren, möchte sich Fabian, der Nachbarsjunge noch auf unsere Mopeds setzen. Er wählt die KTM 1290, das größte Bike von allen. Cleverer junger Mann.

Ich tracke unsere Route mit Calimoto und blicke immer wieder auf die Höhenmeter. Der niedrigste Punkt lag bei 700 m, der höchste über 3.000 m. Insgesamt machen wir an diesem Tag über 11.000 Höhenmeter bis wir unser heutiges Ziel, Laguna de la Cocha erreichen. Der See und das dortige Hostal liegen auf 2.800 m. Wir beziehen Holz-Cabanas, die verteilt in der Natur mit Blick auf den See liegen. Es ist kühl und die Cabanas sind nicht beheizt. Wie so oft besteht die Bettwäsche aus mehreren Lagen verschiedener Decken. Gerade als ich einschlafen möchte, fängt es fürchterlich an zu schütten. Ich höre dem Regen noch kurz zu, dann siegt die Müdigkeit und ich schlafe eingekuschelt in fünf Decken ein.

Tag 9: Popayan – die weiße Stadt ganz bunt

Anita und Sergio waren so nett und haben unsere beiden KTMs abgeholt, während Erhan und ich im Hotel Ibis frühstücken. Erhans 1290 ist blitzeblank sauber, meine 790 zu meiner positiven Überraschung genauso dreckig wie vorher. Anita meint, die Mechaniker haben es nicht übers Herz gebracht, sie zu waschen. Leider haben sie auch vergessen, den verborgenen Lenker zu richten, aber was solls. Ich fahre nun schon seit ein paar Tagen so rum.

Der Weg aus Cali raus ist mühsam, es herrscht sehr viel Verkehr und es dauert eine Weile, bis wir wieder auf kurvigen Straßen durch die Berge düsen. Wir fahren durch die Region Cauca, laut Anita die zweitgefährlichste Gegend in Kolumbien. Als wir durch einen kleinen, ärmlichen Ort fahren, hält uns ein Mann an. Seine dunkelbraune Wampe hängt ihm über die Short, sein Hemd ist voller Löcher, Hände und Gesicht sind Öl verschmiert. Er spricht mit Sergio, dieser gestikuliert, dann fahren wir weiter. Beim nächsten Stopp an einem Tienda, einem Mini Lebensmittelladen, erzählt Sergio, dass der Mann vorhin Geld von uns wollte für die Durchfahrt. Netter Versuch. Wir kaufen uns Wasser und Sergio fragt die jungen Besitzer des Ladens, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind. Anita erklärt, hier in Kolumbien hat man PPS statt GPS. PPS steht für „Pare Pregunte Siga“ und das heißt übersetzt sowas wie: Anhalten Fragen Weiterfahren.

Wir erreichen am frühen Nachmittag Popayan – die sogenannte weiße Stadt. Noch sehe ich davon nichts, es sieht hier genauso aus wie in den Orten vorher. Und die Straßen sind ähnlich dicht wie in Cali. Mopeds zwängen sich in jede noch so kleine Lücke und wehe du fährst nicht sofort los, wenn die Ampel auf grün schaltet. Dann beginnt hinter dir sofort ein Hupkonzert. Es hat angefangen zu regnen und der Himmel ist dunkelgrau. Wir sind in der Innenstadt angekommen und jetzt erkenne ich es: Alle Gebäude sind hellweiß und haben dunkelbraune oder rotbaune Holzfenster. Sie stammen noch aus der Kolonialzeit und sehen wirklich wunderschön aus. Unser Hotel ist gegenüber einer Kirche, nicht weit vom Hauptplatz entfernt. Nach dem Einchecken gehen wir um die Ecke essen (die leckerste mit Käse überbackene Kochbanane) bevor wir über den bunt beleuchteten Markplatz schlendern. Am Brunnen spielt ein kleine Band, die Menschen klatschen und tanzen. Es sind viele Familien mit kleinen Kindern unterwegs und es fühlt sich ein bisschen wie Jahrmarkt an.

Tag 8: Aufregendes Cali

Um 8 Uhr stehen wir vor dem KTM Händler. Sergio erklärt das Problem mit dem Kühler und der Mechaniker meint, sie müssen das Bike erstmal waschen und dann können sie es reparieren. Ich schreie auf! Nein, bloß nicht waschen. Mein mühsam erkämpfter Dreck. Die Jungs lachen. Erhan lässt seine 1290 ebenfalls dort für einen kleinen Service und wir gehen alle zurück ins Hotel zum Frühstücken. Die Reparatur an meiner Kathl wird bis morgen dauern und daher wollen wir uns heute Cali ansehen.

Sergio hat einen Kunden hier – Angel Senior – der zusammen mit seinem Sohn – Angel Junior – ein Enduro-Training bei ihm gemacht hat. Angel schickt uns netterweise seinen Fahrer, der uns die Stadt zeigen soll. Draußen hat es über 30°C, die Klima im Ford Pickup ist auf 18°C eingestellt. Ich sitze hinten in der Mitte und bereits nach kurzer Zeit fröstelt es mich so sehr, dass ich mich zusammenkauer und hinter meinem Turnbeutel verstecke.

Als erstes steuern wir die Cristo Rey Statue an, die eine 1:1 Kopie der Statue in Rio ist, allerdings 12 m kleiner. Cristo schaut auf die 3 Millionen Einwohner Stadt Cali, die sich aktuell hinter einer leichten Smog Decke versteckt. Auf dem Rückweg halten wir kurz an einem Militär-Checkpoint an. Der sehr freundliche Soldat begrüßt uns und auf meine Rückfrage hin erklärt er, dass der Panzer nicht einsatzbereits ist, aber bei großen Unruhen können sie sich darin verstecken, bis Verstärkung kommt. Etwas unterhalb der Straße befindet sich Barrio Siloé, das ärmste und gefährlichste Viertel in Cali. Angeblich gibt es hier täglich Schießereien und andere Verbrechen.

Danach cruisen wir ein bisschen durch die Stadt und halten an einem „Heladeria“ Stand. Hier gibt es Eis und Fruchtdesserts. Endlich wieder Zucker. Wir essen Obstsalat in gefärberter Zuckersirupsoße und Vanille-Eis. Keiner schafft es, ganz aufzuessen. Ein Mann kommt zu unserem Tisch und er möchte unsere Reste haben. Wir sollen alles zusammen in einen Becher schütten. Zuerst bin ich geschockt, beschämt, dann ärger ich mich, dass ich mir den Luxus erlauben wollte, nicht aufzuessen. Aber hätte wir alle nichts übrig gelassen, hätte der Mann jetzt nichts davon. Ist dasnun gut oder schlecht? Hätte ich ihm ein neues Eis kaufen sollen? Ich kann meine Gefühle und Gedanken gerade nicht sortieren und erstrecht nicht in Worte fassen.

Unser nächster Stopp ist das Büro von Motolombia, einem Motorrad-Touranbieter. Sowohl Anita und Sergio, als auch Erhan kennen den dänischen Besitzer Mike, der vor 15 Jahren mit dem Motorrad nach Cali kam, sich in seine jetzige Frau Diana verliebte und hier blieb. Seit 12 Jahren bietet er hauptsächlich onroad Touren auf den aktuellen Modellen von BMW, Yamaha und Kawasaki an. Wir tauschen Motorrad-Reiseerfahrungen aus und verabreden uns später zum Abendessen.

Auf dem Rückweg zum Hotel halten wir in der Mall Chipechape für einige Besorgungen und späten Lunch. Auf dem Weg vom Parkplatz runter hält der Fahrer hinter einer Reihe parkender Autos, steigt aus und geht zum Automat, um das Parkticket zu bezahlen Auf einmal macht es RUMMS und unser Auto wackelt leicht nach links. Dann nochmal. Ich drehe mich nach rechts um und sehe, dass ein weißes Auto ausparken wollte und in unseren Ford gefahren ist. Zweimal! Keine Ahnung was die Frau am Steuer geritten hat. Unser Fahrer kommt zurück, Sergio steigt aus und beide fangen an mit der Frau zu diskutieren. Dann steigen eine weitere Frau und ein ca. 12-jähriger Junge aus dem weißen Auto aus. Dann möchte Erhan auch aussteigen und sich den Schade ansehen. Es ist eine winzigkleine Delle an unserem Kotflügel. Unser Fahrer telefoniert mit seinem Chef, weil die Unfallverursacherin meint, wir sollen es gut sein lassen und fahren. Sein Chef willigt ein. Da meint die Frau auf einmal, sie möchte doch die Polizei rufen. Wie bitte? Sie ist schuld, unser Fahrer war bereit, auf alles verzichten, aber das will sie auf einmal doch nicht? Also rufen beide ihre Versicherungen und Anwälte an. Anita meint, das kann jetzt dauern. Wir warten eine gute Stunde, dann beschließen wir, mit dem Taxi ins Hotel zu fahren. Sergio bleibt bei unserem Fahrer, der mit dem mittlerweile eingetroffenen Allianz Vetreter der Frau spricht. Später erfahren wir, dass die Frau am Ende den Schaden sofort vor Ort zahlen musste. Umgerechnet 35€. Was für ein Irrsinn!

 

Tag 7: Lazy Sunday

Es ist Sonntag. Ruhetag. Das haben sich auch Erhan und Hernan gedacht, die gestern Nacht so lange aus waren, dass sie heute bis Mittags schlafen und mit einem Kater vor uns stehen. Wir beschließen daher, aus dem angebrochenen Tag einen lazy Sunday zu machen, chillen am Pool und essen ungesundes, frittiertes Zeug mit Salsa Rosa und trinken Refajo, einen sehr leckeren Radler-Verschnitt. Die Sonne brennt vom Himmel und ich gehe immer wieder in den Pool ein paar Runden schwimmen. Als ich mich am Nachmittag fahrfertig mache merke ich, dass ich an einigen Stellen leicht rot bin, obwohl ich mich mehrmals eingecremt hatte und fast nur im Schatten lag. Da merkt man halt doch die Nähe zum Äquator.

Wir nehmen den direkten Weg also die Autobahn bis Cali und wir schaffen die 160 km in zwei Stunden. An den zahlreichen Mautstationen dürfen Zweiräder übrigens rechts vorbei fahren.

In Cali checken wir im Hotel Ibis ein, da es nur einen Block entfernt vom KTM Händler liegt. Cali ist die Hauptstadt des Salsa, nur leider haben Sonntags alle Clubs in der Stadt geschlossen. Wir gehen daher zum Mexilaner, ins Cantina La 15. Das Essen ist unglaublich gut und es tritt sogar eine Mariachi Gruppe auf. Das Lokal ist voll besetzt und viele Gäste singen die Lieder laut mit, die die Mariachi performen.

Zurück im Hotel trinken wir noch einen Abschieds-Rotwein mit Hernan. Er wird morgen leider zurück nach Medellin fliegen, da er Dienstag einen geschäftlichen Termin hat. Das einzig Gute daran: Anita kann endlich selbst fahren und sie freut sich schon sehr darauf!