6 Stunden für 50 km: der Tosor Pass

Ich wache auf und mein erster Gedanke gilt dem Fluss, den wir heute durchqueren müssen. Ich hab keine Angst, zu fallen oder nass zu werden, aber ich möchte gern, dass meine elektronischen Geräte und die Dokumente, das Carnet de Passages und unsere Ausweise, trocken bleiben und nicht leiden. Also wird alles doppelt in Tüten gepackt, auch wenn meine Taschen laut Hersteller absolut wasserdicht sein sollen. Sicher ist sicher.

Gibek und die beiden Männer sind bereits wach und arbeiten in dem kleinen Zelt nebenan. Tulu sitzt vor einer kleinen Zentrifuge und dreht und dreht und dreht. Er trennt „Moloko“ also Milch und „Smetana“. Rechts läuft die Milch, links Smetana ab.

Der Himmel ist klar und die Sonne scheint. Nach dem Frühstück, das bis auf die Marmelade, die jetzt aus roten Beeren ist, genau wie das Abendessen ausfällt, beladen wir unsere Bikes. Wider Erwartens hat es gestern nicht geregnet, die Bikes sind trocken. Noch.

Als wir uns verabschieden, zeigt uns Ulan den richtigen Weg über den Fluss und der ist total easy machbar. Was für ein Glück. Happy setzen wir unsere Fahrt fort. Mindestens 50 km sind es bis zum Issykul und noch haben wir den höchsten Punkt des Passes nicht erreicht. Der Track ist wie gestern steinig und eng, da ich aber eine viel bessere Sicht habe, fährt es sich leichter. Ich fahre wieder voraus, durchquere einige kleine Flüsse hochmotiviert und werde mutiger. Beim vierten oder fünften Fluss passiert es. Ich fahre auf einen großen Stein, es reisst mein Vorderrad rum und es schmeißt mich nach rechts. Zicki und ich liegen im Wasser. Roland und Vincent eilen herbei und wir versuchen, Zicki aufzuheben. Sie hat sich blöderweise verkeilt und es braucht ein paar Versuche, bis sie wieder steht. Ich bin pitschnass. Ich liebe meine absolut wasserdichten Daytona Boots aber hier haben selbst sie keine Chance. Das kalte Wasser schiesst von oben literweise in meine Stiefel.

Zicki steht, lässt sich aber weder vor noch zurück bewegen. Sowohl vor dem Vorderrad als auch Hinterrad erfühlt Roland einen großen Stein, der sich leider nicht entfernen lässt. Also müssen wir das Bike über das Vorderrad nach rechts heben. Hat geklappt. Vorne ist sie frei. Jetzt kann ich versuchen, sie rauszufahren. Ich sitze auf, gebe Gas und die Männer schieben. Mit lautem Motorheulen und Druck von hinten klappt es, Zicki und ich sind „an Land“.

Als nächstes fährt Vincent durch und bleibt ebenfalls in der Mitte des Flusses stecken, fällt aber nicht, da Roland immer noch im Fluss steht, Vincents GS packt und mit raus schiebt. Roland selbst fährt als letzter, bzw. läuft. Er lässt die Füße sicherheitshalber gleich im Wasser, sie sind ja eh schon nass.

Für mich ist es das erste Mal. Fallen im Fluss und den ganzen Tag pitschnass weiter fahren. Ich leere das Wasser aus beiden Stiefeln aus und hoffe, dass der Rest irgendwie während der Fahrt trocknet. Denkst du! Es ist viel zu kalt. 8°C hat es mittlerweile. Die Griffheizung läuft auf höchster Stufe und schafft es wenigstens meine Handschuhe von unten zu trocknen und die Hände zu wärmen.

Die folgenden Flüsse gehen wir zuerst ab bevor wir sie durchfahren. Einige sind ziemlich breit und haben viel Wasser, Ein- und Ausfahrt sind oft sehr hoch aber mit vereinten Kräften schaffen wir alle ohne weitere Stürze.

Auf einem relativ geraden Stück überholen wir zwei Jungs auf einem Esel. Was machen die beiden hier? Im absoluten Nirgendwo. Keine Jurte, kein Zelt weit und breit zu sehen. Absolut nichts. In solchen Momenten ärgert es mich, dass ich kein Russisch spreche. Zugern würde ich sie fragen, was sie hier treiben.

Dann folgt der eigentliche Anstieg auf den Pass. Die Straße ist steil und unwegsam, überall große Steine, ich finde keine ordentliche Spur und falle ein paar Mal. Vincent ebenfalls, er verliert mehrmals seinen linken Koffer, der sowieso nur noch mit einem Zurrgurt und einer Yak Schnur befestigt ist. Er flucht schon seit Tagen über die Alukoffer und will sich Softbags kaufen, wie wir sie haben, wenn er zurück in Frankreich ist. Macht mehr Sinn, meint er. Er fällt ja so oft.

Roland kämpft sich ebenfalls hoch, schafft es aber bis zum Pass ohne Sturz. Laufen muss er trotzdem viel, weil er abwechselnd Vincent und mir beim Aufheben des Bikes hilft. Die Passhöhe beträgt 3.890 m. Es hat 5°C, der Wind pfeift und viele Wolken hängen in den umliegenden Gipfeln. Wie gewohnt um uns herum Gletscher, sowie ein smaragdgrüner kleiner See unterhalb des Tracks. Geschafft. Es ist der 4. Tag ohne Dusche, ich stecke seit 48 Stunden in den gleichen Klamotten, ich bin pitschnass, erschöpft und friere. Und trotzdem fühle ich mich großartig. Die letzten 2 Tage waren das Abenteuer, das ist eigentlich am Pamir Highway erwartet und heute in Kirgisistan gefunden habe.

Wie so oft, wenn man rauf fährt, muss man auch wieder runter. Der Issykul See liegt auf 1.600m. Die folgenden zwei Stunden fahren wir eine zuerst sehr steile Etappe, wieder mit viel Geröll und später eine wunderbar festgefahrene Serpentine den Berg hinab. Es nieselt zuerst leicht, hört aber dann irgendwann auf. Je weiter wir nach unten kommen, desto grüner wird es. Die letzte Etappe führt durch einen Canyon und ist sehr sandig, hier legt Roland sein Bike kurz ins Gebüsch. Na endlich, Danke für die Solidarität.

Es ist später Nachmittag, als wir in Tamra am See ankommen und wir schaffen es alle zur Tankstelle. Die Befürchtung von gestern, der Sprit könnte nicht reichen, hat sich Gottseidank nicht bewahrheitet. Für die heutigen 50 km haben wir knapp 6 Stunden benötigt. Was für ein Trip!

Bis zum Camping in der Nähe von Kyzyl-Suu sind es noch 50 km. Ich fahre hinter Vincent, Roland am Schluss. Als wir durch einen Ort fahren, werden Vincent und ich von der der Polizei rausgewunken – zurecht. Wir waren etwas zu schnell. So ein Mist. Die Polizei hier ist äußerst korrupt und bekannt dafür, auch gern Radargeräte zu manipulieren, um mehr abzukassieren. Ich ziehe Helm und Jacke aus, gehe zum Polizeiauto. Normalerweise versuche ich in einer solchen Situation die Frauenkarte zu spielen, heute ist es eher die Mitleidsnummer mit meinen wild-zerzausten Haaren und verschmutzen Klamotten. Und besonders gut rieche ich auch nicht mehr. Der eine Polizist schaut mich an, sagt irgendwas von Tourist und winkt mich weiter. Der andere reibt seinen Daumen und Zeigefinger aneinander. Geld? Sicher nicht. Ich zucke mit den Schultern, drehe mich um und gehe einfach. Vincent ebenfalls. Wir werden nicht zurück gepfiffen. Nochmal Glück gehabt.

Es ist heiss am See, fast 30°C. Heute Morgen sind wir in den kalten Bergen gestartet jetzt schwitzen wir. Ich fühle mich langsam unwohl, will endlich irgendwo ankommen, meine dreckigen Klamotten loswerden und duschen. In Kyzyl-Suu biegen wir von der Hauptstraße ab. Es folgen 20 km Arschbrett mit Sand. Das darf doch wohl nicht wahr sein. Meine Nerven liegen blank und Roland steht es auch schon bis zum Hals. Zu allem Überfluss finden wir den Campingplatz nicht und keiner kann uns helfen. Ich bin kurz vor dem Durchdrehen. Ein junger Kirgise spricht Englisch und er empfiehlt uns das Natali Resort in 3 km. Ein Resort. Mir ist inzwischen alles egal. Wir fahren weitere 3 km Arschbrett. Als wir gerade mit der Dame am Eingang versuchen zu verhandeln, die kein Wort Englisch spricht, kommt ein Mann auf uns zu. Sein Name ist Sergej, er ist Deutsch-Russe und lebt in Bielefeld. Sergej macht uns bei der Dame 2 Zimmer klar. Ihn hat der Himmel geschickt!

Unser Doppelzimmer kostet 27$/Nacht. Was für ein Schnäppchen. Wir checken ein und keine 5 Minuten später stehe ich unter der warmen Dusche. Endlich Haare waschen, frische Kleidung anziehen und zum Abendessen gibt es Pizza. Was für ein Kontrast, aber zum Glück kann ich beides genießen: das wilde Leben in den Bergen und Komfort im Resort.

Eine Nacht auf dem Jailoo

Die Nacht war kalt. Um die 0°C sagt Vincent. Ich hab nicht gefroren, aber die beiden Männer. Ich hatte mich vor der Reise ausführlich über Schlafsäcke informiert und dann einen aus Daune bis -1°C Komfort gewählt. Daune benötigt etwas mehr Pflege als Kunstfaser, wärmt aber besser und ist auch vom Packmass her kleiner. Mein Schlafsack bekommt von mir die volle Punktzahl.

Wir haben unsere Zelte ziemlich weit weg vom See aufgestellt. Das hatten wir gestern bei unsere Ankunft nicht richtig einschätzen können. Lieber zu weit weg als morgens im Wasser aufwachen denke ich mir. Und der Blick ist trotzdem schön!

Unser Frühstück ist gigantisch, da wir in Naryn eingekauft hatten. Kaffee, Tee, Saft, Brot, Aprikosen, Tomaten, Gurken, Käse, Joghurt. Entsprechend lang sitzen wir und diskutieren über die Route, die wir zum Issykul fahren. Ich hab auf der Karte eine Straße entdeckt, die zuerst östlich verläuft, an einem 4.000er Gipfel vorbei und dann nach Norden zum See führt. Diese Route wird es. Es sind gut 250 km, d.h. wir sollten irgendwo vorher tanken, denn unser Sprit inkl. Kanister reicht noch für ca. 220-250km meint Roland…

Wir nehmen vom See weg den Kalmak-Pass und fahren dann ein Stück auf der A365 bis zum nächsten Ort Sarybulak. Leider gibt es hier keine Tankstelle. Man sagt uns, wir müssten zurück nach Naryn, da auf unserer Route nichts mehr kommt. Gar nichts mehr. Naryn wäre ein Umweg von 70km, worauf wir echt keine Lust haben. Also Risiko. Wir sind zu dritt, wenn einem von uns der Sprit ausgeht, finden wir schon irgendwie eine Lösung.

Der Track ist ein Traum. Endurowandern vom Feinsten. Auf einem fest gefahrenen Feldweg überqueren wir einen Berg nach dem anderen, immer wieder sehen wir große Herden Pferde, Schafe und Ziegen auf den grünen Hängen. Kühe stehen selten auf den Wiesen, meistens tauchen sie urplötzlich hinter einer Kurve auf unserer Fahrspur auf und gehen auch nur sehr ungern auf die Seite. Euter voraus! warnen wir uns dann durch die Helmkommunikation

Wir halten oft, genießen den Ausblick auf die umliegenden Berge und machen Fotos. An einem klaren Gebirgsbach füllen wir unsere Wasserflaschen auf. Gegen Spätnachmittag wird der Track schwieriger. Steil und steinig mit ein paar Wasserdurchfahrten. Dann wird er zu einer schmalen Serpentinenstraße mit viel Schotter, die immer weiter den Berg hinauf führt. Ich übernehme die Führung, es fällt mir leichter die richtige Spur zu finden, wenn ich voraus fahre.

Aus Endurowandern wird Endurobergsteigen. Der Track wird immer heftiger und wir kommen nur langsam voran, müssen die Bikes durch Passagen voller Geröll manövrieren. Rechts neben uns Gletscher. Wir sind bereits auf über 3.000m. Es dämmert. Noch 60 km bis zum Issykul. Es ist anstrengend. Zuerst schmeissst es mich, dann Vincent. Es ist nichts passiert, aber ich merke, wie Kraft und Konzentration nachlassen. Für die letzten 10 km haben wir fast eine Stunde gebraucht.

Es ist bereits dunkel, als wir an zwei Jurten vorbei fahren. Der Track führt durch den Fluss unterhalb der Jurten. Ich fahre langsam und mit Fernlicht durch matschige Furchen den Hang hinunter. Unten ankommen ist uns allen sofort klar, dass wir diesen Fluss heute nicht überqueren. Wir leuchten ihn mit unseren Bikes ab. Er ist zu tief und das Ufer fällt zu steil ab. Roland läuft ein Stück flussabwärts und sucht mit der Taschenlampe einen Weg, findet aber nichts. Wir müssen für heute aufgeben und wollen gerade weiter oben einen Platz für die Zelte suchen, als uns zwei Männer entgegen kommen. Sie sprechen kein Englisch aber deuten uns, wir sollen hoch zur Jurte kommen. Gedankenübertragung. Mit letzter Kraft prügel ich Zicki nach oben. An der Jurte empfangen uns eine Frau, zwei Kinder und 4 Hunde. Unsere Zelte sollen wir nicht aufbauen, die Männer meinen es regnet heute Nacht. Wir sollen mit ihnen zusammen in der Jurte schlafen. Ich wehre mich nicht. Hauptsache irgendwo schlafen.

Kaum in der Jurte, macht uns Gibek, die junge Frau, Abendessen. Salat, Brot, frische Butter aus Kuhmilch, eine Marmelade aus Aprikosen und natürlich Cay. Wir essen zusammen mit ihr und den Kindern am Tisch in der Mitte der Jurte, die Männer sitzen etwas entfernt am Eingang. Die Kinder, das sind Began der 9jährige Sohn und die 1,5 Jahre alte Aitunuk. Gibeks Mann heisst Ulan, der andere Taku. Sie sind Halbnomaden, d.h. sie leben den Sommer über von Juni bis September hier oben in den Bergen auf der Sommerweide – genannt „Jailoo“ auf kirgisisch.

Wir verständigen uns mit Händen und Füßen aber wie immer klappt das ganz gut. Vincent zeigt ihnen Bilder von Italien und Frankreich an seinem iPad, dann essen die Männer. Ulan holt einen Teller von der Kommode, darauf ein gekochter und halb abgefressener Schafschädel. Ich versuche meine Mimik zu beherrschen. Ulan nimmt ein Messer, schneidet Fleisch ab und gibt es Vincent. Würg. Kalter Schafskopf wie ekelhaft. Vincent macht auch kein allzu begeistertes Gesicht, isst aber tapfer. Als Ulan mir ein Stück anbietet, lehne ich dankend aber bestimmt ab. Keine 10 kirgisischen Pferde bringen mich dazu, sowas aus Höflichkeit zu essen.

Roland und ich gehen draußen Zähne putzen. Es ist finster, kein Mond ist zu sehen aber unglaublich viele Sterne und die Milchstraße. Roland nuschelt mit Zahnbürste im Mund: Ich zeig dir was, aber erschrick nicht. Er leuchtet mit der Stirnlampe schnell nach links und sagt: „Somebody is watching you.“ Mindestens 200 Schafaugen sind auf uns gerichtet. Keine 5 m entfernt von uns ist eine riesige Herde. Ich lache und verpruste dabei etwas Zahnpasta. Die Schafe hatte ich noch gar nicht bemerkt.

Als wir in die Jurte zurück kommen, hat Gibek den Tisch weggeräumt und die Matten zum Schlafen ausgelegt. Ich liege ganz links außen, neben mir Roland, dann Vincent. Es folgen die Kinder und die Männer. Als wir alle auf den Matten liegen, bereitet Gibek noch schnell einen Brotteig vor, sie verknetet dazu Mehl und Wasser in einer Plastikschüssel und legt eine andere darüber. Der gute Hefeteig. Dann legt sie sich ebenfalls auf die Matte, ihr Mann Ulan schaltet das Licht aus und wir sagen uns alle good night.

Obwohl ich hundemüde bin, kann ich lange nicht einschlafen. Zu viele Gedanken schwirren in meinem Kopf. Was für ein verrückter Tag. Die anstrengende Fahrt, die großartige Landschaft und am Ende die volle Dröhnung kirgisischen Nomadenlebens. Immer wieder bellen die vier Hunde lautstark und laufen los. Irgendwann höre ich auch ein Pferd wiehern. Zugern würde ich sehen, was genau draußen los ist. Es ist bereits nach 2 Uhr als ich zum letzten Mal auf mein Handy sehe.

Das Pamir Abenteuer beginnt!

Wir verabschieden uns mittags von Aziz und starten unsere Reise auf dem Pamir Highway, der von Dushanbe bis nach Osh in Kirgistan verläuft und ca. 1.200 km lang ist. Seine höchste Erhebung ist der Ak Baytal Pass mit 4.655m kurz vor dem Karakol-See. Der Pamir Highway ist die zweithöchste befahrbare Pass-Straße der Welt, weiter rauf geht es nur am Karakorum Highway in Pakistan. Mein eigentlicher Plan war es, genau dorthin zu fahren. Ich hatte in der Vorbereitung auf unserer Reise immer wieder eine neue Routenplanung erstellt, aber nie ging es sich zeitlich aus. Anfangs war ich enttäuscht, aber mittlerweile habe ich mich damit abgefunden „nur“ die Nummer 2 zu fahren. Man kann eben nicht alles auf einmal haben, wenn die Zeit begrenzt ist.

Die erste Etappe führt von Dushanbe nach Kaleikhum. 270km sind es insgesamt, 160 davon offroad. Noch ist es warm, knapp 30°C und auch ein bisschen bewölkt, nicht alle umliegenden Berggipfel sind sichtbar. Die Landschaft ist trotzdem atemberaubend schön und wechselt von schroffen Felsen zu begrünten Hängen. Zuerst fahren wir auf Asphalt, nach etwas über 100km auf losem Schotter. Immer wieder umfahren wir im Slalom tiefe Schlaglöcher. Ab und zu kommen uns 40-Tonner plus Anhänger entgegen. Die meisten kommen aus China. Böse Zungen nennen den Pamir Highway auch Plastic Road. Mit dem Motorrad ist die Straße ein Abenteuer, mit dem Lkw für mich totaler Wahnsinn. An manchen Stellen ist die Piste so schmal, dass ich auf die linke Spur wechsle, weil es rechts unfassbar tief bergab geht. Die Lkw Fahrer müssen extrem mutig und schwindelfrei sein, ihr Fahrzeug durch solche engen Passagen zu manövrieren. Offensichtlich haben sie auch Respekt vor uns, denn alle winken uns aus ihrem Fahrerhaus zu. Apropos Respekt: Wir überholen ein paar Radler und Roland und ich sind uns einig: Wer den Pamir Highway mit dem Fahrrad fährt, ist der wahre Held.

Auf halber Strecke haben wir 13.000km seit unserer Abreise Anfang Juni geschafft und machen unser obligatorisches Beweisfoto.

In Kürze wird die Sonne untergehen und es ist klar, dass wir mal wieder im Dunkeln fahren werden, da wir noch lange nicht am Ziel sind. Da die Birne von meinem Abblendlicht zum 3. Mal durchgebrannt ist und ich nur Fernlicht habe, fahre ich voraus. Eine Serpentinenstraße halb Asphalt halb Schotter schlängelt sich den Berg nach unten und wir gelangen an den Fluss Obikhumbou der in den Pyandzh Fluss mündet, den Grenzfluss zwischen Tadjikistan und Afghanistan. Wirklich sehen kann ich den Fluss nicht im Dunklen, aber hören, so stark rauscht er.

Kurz vor Kaleikhum ist nochmal eine Pass- und Permit-Kontrolle. Für alle anderen Reisenden ein Hinweis: Um den Pamir zu fahren muss man beim Visum „GBAO Permit“ auswählen – kostet nichts extra aber nur so darf man hier fahren.

Im Ort angekommen werden wir gleich vom Besitzer des Hostels abgefangen, das uns Aziz genannt hatte. Er scheint auf uns gewartet zu haben. Wir parken unsere Bikes umständlich rückwärts in dem schmalen Eingang seines Hostels aber wenigstens stehen sie so sicher. Zum Abendessen gibt es eine kräftige und gut gewürzte Rindersuppe mit Gemüse und Kartoffeln, dazu Brot, Salat und Obst. Roland hat noch schnell Bier gekauft (1,5l Plastikflasche) und wieder mal sitzen wir geschafft aber auch glücklich über einen wunderschönen ersten Fahrtag am Pamir an unserem Tisch und lassen den Tag Revue passieren.

47,5°C

Nachdem wir das halbe Buffet leer gegessen haben, gehen wir zum Pool. Es sind einige Familien hier, die Jungs spielen mit den Vätern Wasserball und die gestylten Mütter schwimmen mit den noch gestylteren Mädchen oder sonnen sich auf der Liege. Wir schwimmen eine Zeit lang und diskutieren unsere ersten Eindrücke aus Turkmenistan. So richtig begreifen können wir nicht, was hier abgeht. Bevor wir zum brennenden Gas-Krater mitten in der Karakum-Wüste fahren, wollen wir doch noch eine kleine Sightseeing-Tour durch Ashgabat wagen und fahren um 13 Uhr los.

Man darf hier so gut wie nichts fotografieren, an jeder Ecke steht Polizei oder Militär. Sonst sind die Straßen leer. Oft sind wir das einzige Fahrzeug auf der Straße und Menschen sehen wir auch keine. Gespenstisch. Für wen wurden die vielen Hochhäuser gebaut, wer wohnt in den Neubauten am Stadtrand? Wir fühlen uns wie in einer Filmkulisse, allerdings keine aus Pappe. Die Bauwerke sind massiv, zum Teil aus italienischem Marmor. Das ist kein Fake!

Wir fahren ein paar Monumente ab, machen schnell Handy-Fotos oder ich drücke auf die GoPro, die rechts am Sturzbügel montiert ist. Dann passiert es: Ein Polizist winkt uns zu sich heran. Wir halten vor ihm, er zeigt auf Rolands Motorrad uns sagt etwas auf Turkmenisch. Wir zucken mit den Schultern und sagen: „English?“ Der Polizist lacht und zum Vorschein kommt eine vergoldete obere Zahnreihe. Wir stellen uns dumm, sage ich zu Roland durch unsere Helmkommunikationsanlage. Dann zeigt er auf Rolands Licht. Mist. Mein Abblendlicht ist seit gestern wieder kaputt, die Birne ist zum 2. Mal innerhalb von 3 Wochen durchgebrannt. Wie hat er das denn gesehen? Wir schalten unser Licht ein und aus, ich mach einfach die Zusatzscheinwerfer an. Aber nein, das Licht meinte er gar nicht. Er sagt wieder irgendwas, wir lächeln. Dann holt er einen Block heraus und meint: „Straf“  Alles klar denke ich mir. Der braucht Geld für die untere goldene Kauleiste. Nicht mit uns! Wir zucken wieder mit den Schultern und sagen: „English please“ Er lacht gequält. Jetzt wird es mir zu blöd. Ich sage Roland, dass wir jetzt fahren, schaue den Polizisten an, verabschiede mich laut: „Thank you, bye bye“ starte den Motor und wir fahren weiter. Ich lass mich nicht abzocken.

Es ist inzwischen 15 Uhr, wir müssen schnellsten aus der Stadt raus und in die Wüste. Der Krater, den wir uns ansehen wollen liegt bei Derweze im Norden von Turkmenistan auf dem Weg zu unserem Grenzübergang nach Usbekistan. Der Krater, auch Tor zur Hölle genannt, ist 200m breit und 50m tief und entstand Anfang der 70er Jahre aus Versehen bei Bohrungen. Die Bohrplattform stürzte ein und um die Freisetzung des Erdgases zu verhindern, wollte man es verbrennen. Und es brennt bis heute. Das wollen wir uns ansehen und dort in der Nähe zelten, denn nachts soll der Krater besonders eindrucksvoll sein.

Es ist – mal wieder – abartig heiß. 47,5°C. Alle 50 km müssen wir anhalten, weil mir das Atmen schwer fällt und ich keine Kraft mehr habe. Ich weiß nicht mehr weiter. Was mache ich falsch? Ich fahre sogar mit offener Jacke, trinke ununterbrochen Wasser aus meinem Camelbak aber das hilft nichts. Roland das alte Kamel hat auch keinen Spass bei der Hitze aber er spürt es nicht so sehr wie ich.

Gegen 18 Uhr machen wir an einer Tankstelle Rast, ich bin entkräftet, die Beine kribbeln und die Finger krampfen. Es frustriert mich so sehr, dass ich anfange zu weinen und Roland sage, dass ich nicht mehr weiterfahren kann. Nicht mehr weiterfahren will. Es sind noch 100 km und dann kommt erst der schwierige Offroad-Track durch den Wüstensand. Ich fühle mich nicht in der Lage, das durchzustehen. Wir setzen uns in das kleine Restaurant auf eines der Sitzpodeste und bestellen Essen. Roland versucht mich zu motivieren, er weiß, es gibt keinen anderen Ausweg, als weiterzufahren. Ich dachte eher daran, dass mich einer der netten Lkw-Fahrer samt Motorrad zum Krater mitnimmt. Roland lacht und meint, ich muss das schon selber schaffen. Nach einer dreiviertel Stunde habe ich neuen Mit gefasst und geht es weiter. Ich schaffe die 100 km an einem Stück und als wir an der Abfahrt in Richtung Wüste stehen, ist die Sonne bereits untergegangen. Ich stelle mich schonmal mental darauf ein, dass wir ein Stück des Tracks im Dunkeln fahren werden. Angst habe ich keine, denn falls wir nicht mehr weiterkommen, haben wir alles dabei, was wir für eine Nacht in der Wüste brauchen: Ein Zelt, ausreichend Wasser und Benzin sowie genug zu essen.

Relativ bald kommen die ersten sandigen Passagen, die erstaunlicherweise ganz wunderbar klappen. Seitdem die Sonne weg ist, geht es mir viel besser und ich bin hoch motiviert, es bis zum Krater zu schaffen. Es geht ein Stück bergauf über eine sehr steinige Passage, dann wieder bergab mit viel Sand. Ich liege das erste Mal. Roland hilft mir auf. Immer wieder teilt sich der Track in mehrere Spuren und wir müssen mehrmals anhalten und den richtigen Weg suchen. Es ist inzwischen dunkel und ich bin mir nicht sicher, ob es besser oder schlechter ist, dass ich nicht mehr so genau sehe, auf welchem Untergrund ich mich bewege.

Auf einem steilen Stück mit tiefem Sand stürze ich wieder. Roland ist bereits fast ganz oben und etwas weiter hinter dem Hügel können wir das rötliche Licht des Kraters sehen. Wir sind uns trotzdem nicht sicher, ob wir auf dem richtigen Weg sind und laufen mit unseren Stirnlampen einmal unten am Hügel entlang und dann oben. Der Weg unten ist besser, nicht so sandig und so beschließen wir, beide Motorräder auf dem steilen Stück zu wenden und wieder runterzufahren. Was für ein Act, vor allem mein Bike steckt tief im Sand fest. Aber es war die richtige Entscheidung. 10 Minuten später fahren wir direkt auf den Krater zu. Geschafft! Ich bin erleichtert und stolz und geniesse den Anblick. Ein 200m breiter, brennender und rot glühender Krater und um ihn herum stockfinstere Nacht. Auf der anderen Seite des Kraters sehen wir kleine Lichter, es sind mehrere Taschenlampen, wir fahren dort hin und erreichen ein kleines Camp. Wir suchen uns einen Platz für unsere Zelt abseits der japanischen Reisegruppe (ja so was gibt es auch hier am Ende der Welt), quatschen kurz mit einem anderen Biker (Vincent aus Frankreich, unterwegs auf einer 1150GS) und gehen dann nochmal zum Krater, machen Fotos und hören dem Rauschen und Knistern des Feuers zu. Unzählige Sterne stehen am Himmel. Direkt über dem Krater erkenne ich den kleinen Wagen, ich drehe mich um und sehe die Milchstraße. Genauso magisch habe ich mir die Nacht in der Wüste vorgestellt.