Astrachan, Russland

Das Frühstück im Hotel fällt bescheiden aus und passt irgendwie zu meinem ersten Eindruck gestern. Die Eier sind lieblos angebraten und zerfleddert und das Brot ist alt und trocken. Meine Blinis mit Quark sind allerdings mega lecker.

Unser Ziel heute: Irgendwie ins Wolga Delta zu kommen. Das Wolga Delta ist ein fast 30.000 km2 großes Naturschutzgebiet mit einer einzigartigen Flora und Fauna. Hier mündet Europas längster Fluss, die Wolga in über 800 Armen in das Kaspische Meer. Je nach Jahreszeit leben hier mehr als 300 Vogelarten, z.B. Reiher, Fisch- und Seeadler, Falken, Komorane, Bartmeisen und viele weitere. Rolands Interesse gilt mehr den Fischen – denn er bewirtschaftet in der Nähe von Passau zusammen mit seinem Vater in seiner Freizeit mehrere Fischteiche, u.a. für Karpfen. Angeblich soll es im Wolgadelta bis zu 35kg schwere Wildkarpfen geben. Und Welse, die sogar 100 kg auf die Waage bringen. Daneben Stöer, Zander, Hechte, Rodfedern und andere im Vergleich zu den monströsen Welsen und Karpfen langweilig wirkende Fische. Also zum Angeln komme ich nicht mit, das mache ich Roland gleich klar, aber bei einer Bootstour auf der Wolga bin ich gern dabei.

Roland hat im Internet das Reisebüro „Pegas Tours“ um die Ecke gefunden. Wir erkundigen uns dort nach einem Ausflug in das Astrachan Nature Reserve. Am liebsten würden wir auf eigene Faust dorthin, wir hoffen aber, dass wir bei einer geführten Tour mit dem Boot viel mehr über Flora und Fauna im Delta erfahren und auch mehr Tier sehen.

Angelina und ihr Kollege vom Büro sind super nett und hilfsbereit und telefonieren gleich mit dem Reservat. Eine individuelle Führung ist so spontan leider nicht möglich, aber wir können uns morgen einer kleinen Gruppe anschließen. Leider ist die Führung nur auf Russisch, wir buchen sie trotzdem. Morgen um 10 Uhr geht’s los.

Wir spazieren durch die Stadt, sehen uns den Kreml an und gehen in ein Fischladen, der auch den berühmten Kaviar aus Astrachan verkauft.

Dann entdeckt Roland einen Anglerladen. Und jetzt wird geshoppt. Eine Fischerhose, Stiefel, T-Shirt, eine Outdoor-Hose, ich bekomme ein Cap und ein Tuch und wir kaufen uns jeder einen Tarnhut mit Moskitonetz. Mit drei vollen Tüten verlassen wir den Laden. Keine Ahnung wie wir das auf unseren Bikes unterbringen sollen.

Auf dem Fischmarkt und im Supermarkt nebenan kaufen wir für das Abendessen ein. Wir mussten heute in ein anders Zimmer umziehen, das im 2. Stock liegt und einen sehr schönen Balkon mit Blick auf den Astrachaner Kreml hat. Dort verbringen wir den Abend mit geräuchertem Stör und Gösser Bier.

Taschkent

Taschkent ist die Hauptstadt Usbekistans und hat fast 2.5 Millionen Einwohner – nicht nur Usbeken sondern auch Turkmenen, Kirgisen, Tajiken und sehr viele Nachfahren von Koreanern, die in den 30ern von Stalin umgesiedelt wurden, leben hier.

Taschkent ist eine moderne Großstadt, in der das Erbe der Sowjet-Zeit noch präsent ist: ewig lange und breite Straßen führen durch die Stadt, man entdeckt hier und da noch Plattenbausiedlungen und quasi an jeder Ecke steht ein Kriegsdenkmal oder eine sozialistische Arbeiterstatue. Wir haben uns ein paar dieser Sehenswürdigkeiten herausgesucht und natürlich möchte Roland auch wieder zum Basar.

Unser erster Stopp ist das Mahnmal, das an das verheerende Erdbeben von 1966 erinnert. 300.000 Menschen wurden obdachlos – fast 1/3 der damals in Taschkent lebenden Einwohner. Das Mahnmal zeigt Vater, Mutter und das kleine Kind in der Hand der Mutter, außerdem sind Datum, Uhrzeit und die Stärke des Erdbebens: 7,5 abgebildet.

Danach laufen wir zum Amir Timur Platz, direkt dahinter steht unübersehbar das Hotel Uzbekistan – ein Paradebeispiel für sowjetische Architektur der 70er Jahre. Monströs nach außen und pompös innen.

Von hier aus nehmen wir die Metro zum Basar. Die Metro wurde 1977 eröffnet und ist damit die erste Zentralasiens. Sie erinnert mich stark an die Moskauer Metro. Alle Stationen sind wunderschön und prunkvoll gestaltet, mit viel Marmor und Stuck. Fotografieren ist leider strengstens verboten, da die Schächte auch als Atomschutzbunker genutzt werden können. Am Eingang, im Zwischengeschoss und auf dem Bahnsteig stehen Sicherheitsbeamte, ich wage trotzdem ein Foto an der Station Kosmonavtlar, die hauptsächlich dem aus Taschkent stammenden Kosmonauten Vladimir Dzhanibekov gewidmet ist. Neben ihm sind weitere Kosmonauten abgebildet. U.a. Yuri Gagarin und Valentina Tereshkova, die 1963 als erste Frau in den Weltraum flog.

Wir fahren weiter bis zu Station Chorsu, hier befindet sich der Basar. Der Basar besteht aus mehreren Gebäuden und in dem schönsten, dem Rundbau, gibt es vor allem Fleisch. Hier halte ich es nur kurz aus. Ich kaufe lieber draußen ein bisschen Obst und Nüsse ein. Dann nehmen wir wieder die Metro zum Hauptbahnhof. Dahinter befindet sich auf alten Gleisen ein Freilichtmuseum für Eisenbahntechnik mit über 30 Dampf- und Elektrolokomotiven und Wägen. Die älteste Lok ist von 1914. Roland mutiert zu einem „Sheldon Cooper“ und klettert aufgeregt auf die Loks und in die Führerhäuschen.

In der Nähe des Hauptbahnhofs liegt das koreanische Viertel und da es bereits nach 20 Uhr ist, möchten wir hier zu Abend essen. Unser Reiseführer empfiehlt das Restaurant „Mannam“. Die Kellnerinnen sprechen kein einziges Wort Englisch und wir kein Russisch außer „niet mjersa“ was „kein Fleisch“ heißt. Ich bestelle, was laut Reiseführer hier super schmeckt, die kalte Sommersuppe und natürlich Kimchi. Für Roland irgendwas mit „mjersa“ also Fleisch. Und was soll ich sagen, es schmeckt hervorragend. Phänomenal. Grossartig. Ich könnte mich in die Suppe reinsetzen, so lecker ist sie. Nudeln, viel Gemüse, Sesam und leckerste Gewürze machen die Suppe zu einem süsslich und leicht sauren Genuss. Ich musste 17.500 km fahren, um in Usbekistan das erste Mal in meinem Leben koreanisch zu essen. Hat sich gelohnt.

Im Reiseführer steht, dass die Metro bis 24 Uhr fährt. Unsere Linie, die grüne, leider nicht. Um 23.30 ist Schluss und wir müssen ab Oybek mit dem Taxi weiter. Also keinem echten Taxi. In Usbekistan nimmt einen quasi jeder für ein paar Som mit. Es dauert keine 5 Minuten bis ein Auto anhält und uns für umgerechnet 2€ ins Hotel fährt. Der Tag war unglaublich schön und ereignisreich und ich bin ein bisschen traurig, dass wir morgen Usbekistan bereits wieder verlassen.

Drei Nächte in Osh

Das Unwetter von gestern ist vorüber, heute Morgen scheint wieder die Sonne. Roland und Vincent kümmern sich direkt nach dem Frühstück um die Bikes. Ich hatte mit Roland abgemacht, dass er sich auch um Zicki kümmert und ich einen kleinen Office Tag einlegen darf. Und Wäsche waschen. Im Guesthouse gibt es eine Maschine, die wir nutzen dürfen. Ich wasche alles. 5 Ladungen inkl. unserer Motorrad-Kleidung.

Die Jungs kärchern die Bikes zuerst ordentlich ab, Vincent zerlegt seine GS fast komplett und Roland bringt meine Felge zur Reparatur, die wie sich herausstellt, nicht nur eine Delle sondern auch einen Riss hat, der geschweisst werden musste. Danach geht Roland mit Stas auf Teilesuche. Eine Schraube vom Gepäckträger der nineT ist abgerissen und das Metall-Gehäuse vom Scheinwerfer ist durch vibriert. Letzters kann erstmal nur geklebt werden.

Den ganzen Tag schrauben beide im Innenhof an den Bikes und führen Fachgespräche. Sie haben ihr Werkzeug auf dem Boden ausgebreitet und Vincent hat die Bose Box voll aufgedreht. Es läuft eine bunte Mischung von Tom Petty bis Five Finger Death Punch. Irgendwanm gibts auch das erste Bier. Zwei Ingenieure im Schrauber-Himmel.

Nachmittags checken zwei weitere Deutsche ein. Ein junges Pärchen, Sascha und Annabelle, die mit dem Fahrrad bis nach Australien reisen. Sie haben in Tadjikistan einen kleinen, kranken Welpen aufgesammelt und bei einem Tierarzt versorgen lassen. Und jetzt überlegen sie, ob sie die kleine Jeanny mit auf Tour nehmen oder ob sie eine Familie für sie finden sollen.

Den nächsten Tag nutzen wir für eine kleine Sightseeing Tour durch Osh. Roland möchte unbedingt auf den Basar. Wir laufen durch die Stadt am Fluss entlang und stehen auf einmal in einem Vergnügungspark, der gefühlt aus der Sowjet-Zeit stammt. Als wäre die Zeit still gestanden. Kinder fahren in alten, verrosteten Karussells und essen pinke Zuckerwatte, auf den Schiessbuden ist der junge Rambo zu sehen und dann steht da auf einmal ein echtes, altes Flugzeug von Aeroflot. Mitten im Gebüsch. Ich bin irritiert und begeistert zugleich. Wir geben uns gleich die volle Dröhnung und essen im Park zu Mittag. Lagman, Schaschlick und Salat. Es schmeckt sensationell und da die Preise anscheindend auch aus Sowjet-Zeiten sind, kostet alles zusammen keine 5€.

Auf dem Basar kaufen wir eine Bürste zur Reinigung meiner Kette und noch ein bisschen anderes Krimskrams, danach gehen wir auf den Soleiman Berg. Von hier oben hat man einen herrlichen Blick über die Stadt.

Der Teilemarkt, bei dem Roland gestern eingekauft hat, ist leider geschlossen. Wir gehen auf dem Rückweg zum Guesthouse trotzdem kurz durch die Container-Stadt. Hier gibts alles, meint Roland. Von der Schraube bis zum Autositz. Jeder Container hat sein Spezialgebiet. Wie ein riesengroßer gut sortierter Schrottplatz.

Den letzten Abend verbringen wir bei Stas mit ein paar Bier und besprechen die Route, die wir morgen fahren wollen. Unsere drei Bikes sind repariert, gewartet und bereit für viele abenteuerliche Kilometer in Kirgisistan.

Sonntagsausflug nach Urgut

In unserem Reiseführer steht, dass sich sonntags ein Ausflug auf den Basar nach Urgut lohnt, weil dann die meisten Händler vor Ort sind. Wir nehmen ein Privat-Taxi und zahlen 8€ für 45 Minuten Fahrt, im Sammeltaxi wären es nur 2€ gewesen, worüber sich Roland total ärgert. Auf dem Rückweg sind wir schlauer.

Der Basar ist riesig. Es sollen angeblich 80 Hallen sein, sortiert nach Themen: Haushaltwaren, Frauenkleidung, Schulsachen, Werkzeug usw. Uns interessieren besonders die Stoffhändlerinnen, die sich hinter den Hallen befinden. In Usbekistan kann man sogenannte Suzannis kaufen, das sind Stoffe aus den 50ern oder älter, mit wundervollen Mustern bestickt, die mehrere hundert Dollar kosten können. Die Suzannis hängt man sich an die Wand oder verwendet sie als Tischdecken. Es gibt natürlich auch günstigere, aber kaufen wollen wir ja sowieso nicht. Unsere Motorräder sind beladen genug. Für Souveniers ist kein Platz.

Ein paar Händlerinnen machen gerade Pause und als sie uns sehen, winken sie uns heran und bieten uns Tee an. Schon sitze ich zwischen den lustig schnatternden Frauen, mit ihren bunten Kleidern und goldenen Zähnen. Sie setzen mir Festtagsschmuck auf den Kopf, wie man ihn zu Hochzeit oder Geburtstag trägt. Ich verstehe sie nicht, und sie mich nicht, aber der Daumen nach oben bedeutet wohl, dass ich super damit aussehe.

Nach dem Basar fahren wir mit dem Sammeltaxi zu einem Park, in dem über 1.000 Jahre alte Platanen stehen. Als wir zum Eingang gehen, merkt Roland, dass er seine Brille im Taxi liegen gelassen hat. Das Taxi hatte uns an einem Lebensmittelladen rausgelasen und ich erkläre mit Händen und Füßen dem Verkäufer, was eben passiert ist. Er versteht mich tatsächlich und meint, wir sollen in den Park gehen und wenn wir wieder heraus kommen, ist die Brille da.

Also gehen wir in den Park und die größte und älteste Platane steht gleich am Eingang. Ihre Wurzeln sind so mächtig, dass vor ein paar Hundert Jahren ein 30qm Raum hineingebaut wurde, in dem Kinder unterrichtet wurden. Im Park befindet sich außerdem eine Moschee, ein Mausoleum und eine Quelle mit kleinem Teich. Es heißt, wenn man ganz genau in die Quelle sieht, kann man Allah sehen. Ich sehe ihn leider nicht.

Als wir zurück zum Lebensmittelladen kommen, liegt dort tatsächlich Rolands Etui und darin seine Lesebrille. Die Stärke der Gläser passt schon lange nicht mehr und er hätte auch zwei Ersatzbrillen dabei, trotzdem ist er glücklich, sie wieder zu haben.

Auf dem Rückweg vom Park nehmen wir witzigerweise wieder das gleiche Taxi wie vorhin und es bringt uns zum Sammeltaxi-Stand im Zentrum von Urgut. Auf einer Kreuzung hält der Fahrer an, ein Mann reicht ihm mehrere Bündel 1.000er durchs Fenster, das unserer Fahrer als wäre es ein Stück Brot zwischen sich und Rolands Sitz platziert. Dann fährt er weiter. Kurz darauf hält er wieder an und ein weiterer Fahrgast steigt ein, der ein paar hundert Meter wieder aussteigt.

Das nächste Taxi, das uns ein Stück mitnehmen soll, ist bereits voll besetzt – zumindest sehe ich das so. Auf der Rückbank sitzt eine Mutter mit zwei Jungs und Schulranzen auf dem Rücken. Ich soll einsteigen, zögere aber kurz. Zu viert hinten sitzen? Als ich die Tür öffne, setzt sich der eine Junge wie selbstverständlich auf den Schoß des anderen. Angeschnallt wird hier sowieso nicht und so rasen wir zu sechst in einem alten Renault Richtung Samarkand.

Auf halber Strecke müssen wir noch einmal das Taxi wechseln, dieses Mal steigen wir in einen dieser Mini-Busse ein, der immer wieder anhält, Leute steigen aus und andere ein. Auf dem Bus steht kein Schild (zumindest sehe ich keines) und ich frage mich, woher die Leute am Straßenrand wissen, wo der Bus hinfährt. Aber vermutlich gibt es zwischen Urgut und Samarkand keine anderen Ortschaften, in die man fahren kann oder möchte.