6 Stunden für 50 km: der Tosor Pass

Ich wache auf und mein erster Gedanke gilt dem Fluss, den wir heute durchqueren müssen. Ich hab keine Angst, zu fallen oder nass zu werden, aber ich möchte gern, dass meine elektronischen Geräte und die Dokumente, das Carnet de Passages und unsere Ausweise, trocken bleiben und nicht leiden. Also wird alles doppelt in Tüten gepackt, auch wenn meine Taschen laut Hersteller absolut wasserdicht sein sollen. Sicher ist sicher.

Gibek und die beiden Männer sind bereits wach und arbeiten in dem kleinen Zelt nebenan. Tulu sitzt vor einer kleinen Zentrifuge und dreht und dreht und dreht. Er trennt „Moloko“ also Milch und „Smetana“. Rechts läuft die Milch, links Smetana ab.

Der Himmel ist klar und die Sonne scheint. Nach dem Frühstück, das bis auf die Marmelade, die jetzt aus roten Beeren ist, genau wie das Abendessen ausfällt, beladen wir unsere Bikes. Wider Erwartens hat es gestern nicht geregnet, die Bikes sind trocken. Noch.

Als wir uns verabschieden, zeigt uns Ulan den richtigen Weg über den Fluss und der ist total easy machbar. Was für ein Glück. Happy setzen wir unsere Fahrt fort. Mindestens 50 km sind es bis zum Issykul und noch haben wir den höchsten Punkt des Passes nicht erreicht. Der Track ist wie gestern steinig und eng, da ich aber eine viel bessere Sicht habe, fährt es sich leichter. Ich fahre wieder voraus, durchquere einige kleine Flüsse hochmotiviert und werde mutiger. Beim vierten oder fünften Fluss passiert es. Ich fahre auf einen großen Stein, es reisst mein Vorderrad rum und es schmeißt mich nach rechts. Zicki und ich liegen im Wasser. Roland und Vincent eilen herbei und wir versuchen, Zicki aufzuheben. Sie hat sich blöderweise verkeilt und es braucht ein paar Versuche, bis sie wieder steht. Ich bin pitschnass. Ich liebe meine absolut wasserdichten Daytona Boots aber hier haben selbst sie keine Chance. Das kalte Wasser schiesst von oben literweise in meine Stiefel.

Zicki steht, lässt sich aber weder vor noch zurück bewegen. Sowohl vor dem Vorderrad als auch Hinterrad erfühlt Roland einen großen Stein, der sich leider nicht entfernen lässt. Also müssen wir das Bike über das Vorderrad nach rechts heben. Hat geklappt. Vorne ist sie frei. Jetzt kann ich versuchen, sie rauszufahren. Ich sitze auf, gebe Gas und die Männer schieben. Mit lautem Motorheulen und Druck von hinten klappt es, Zicki und ich sind „an Land“.

Als nächstes fährt Vincent durch und bleibt ebenfalls in der Mitte des Flusses stecken, fällt aber nicht, da Roland immer noch im Fluss steht, Vincents GS packt und mit raus schiebt. Roland selbst fährt als letzter, bzw. läuft. Er lässt die Füße sicherheitshalber gleich im Wasser, sie sind ja eh schon nass.

Für mich ist es das erste Mal. Fallen im Fluss und den ganzen Tag pitschnass weiter fahren. Ich leere das Wasser aus beiden Stiefeln aus und hoffe, dass der Rest irgendwie während der Fahrt trocknet. Denkst du! Es ist viel zu kalt. 8°C hat es mittlerweile. Die Griffheizung läuft auf höchster Stufe und schafft es wenigstens meine Handschuhe von unten zu trocknen und die Hände zu wärmen.

Die folgenden Flüsse gehen wir zuerst ab bevor wir sie durchfahren. Einige sind ziemlich breit und haben viel Wasser, Ein- und Ausfahrt sind oft sehr hoch aber mit vereinten Kräften schaffen wir alle ohne weitere Stürze.

Auf einem relativ geraden Stück überholen wir zwei Jungs auf einem Esel. Was machen die beiden hier? Im absoluten Nirgendwo. Keine Jurte, kein Zelt weit und breit zu sehen. Absolut nichts. In solchen Momenten ärgert es mich, dass ich kein Russisch spreche. Zugern würde ich sie fragen, was sie hier treiben.

Dann folgt der eigentliche Anstieg auf den Pass. Die Straße ist steil und unwegsam, überall große Steine, ich finde keine ordentliche Spur und falle ein paar Mal. Vincent ebenfalls, er verliert mehrmals seinen linken Koffer, der sowieso nur noch mit einem Zurrgurt und einer Yak Schnur befestigt ist. Er flucht schon seit Tagen über die Alukoffer und will sich Softbags kaufen, wie wir sie haben, wenn er zurück in Frankreich ist. Macht mehr Sinn, meint er. Er fällt ja so oft.

Roland kämpft sich ebenfalls hoch, schafft es aber bis zum Pass ohne Sturz. Laufen muss er trotzdem viel, weil er abwechselnd Vincent und mir beim Aufheben des Bikes hilft. Die Passhöhe beträgt 3.890 m. Es hat 5°C, der Wind pfeift und viele Wolken hängen in den umliegenden Gipfeln. Wie gewohnt um uns herum Gletscher, sowie ein smaragdgrüner kleiner See unterhalb des Tracks. Geschafft. Es ist der 4. Tag ohne Dusche, ich stecke seit 48 Stunden in den gleichen Klamotten, ich bin pitschnass, erschöpft und friere. Und trotzdem fühle ich mich großartig. Die letzten 2 Tage waren das Abenteuer, das ist eigentlich am Pamir Highway erwartet und heute in Kirgisistan gefunden habe.

Wie so oft, wenn man rauf fährt, muss man auch wieder runter. Der Issykul See liegt auf 1.600m. Die folgenden zwei Stunden fahren wir eine zuerst sehr steile Etappe, wieder mit viel Geröll und später eine wunderbar festgefahrene Serpentine den Berg hinab. Es nieselt zuerst leicht, hört aber dann irgendwann auf. Je weiter wir nach unten kommen, desto grüner wird es. Die letzte Etappe führt durch einen Canyon und ist sehr sandig, hier legt Roland sein Bike kurz ins Gebüsch. Na endlich, Danke für die Solidarität.

Es ist später Nachmittag, als wir in Tamra am See ankommen und wir schaffen es alle zur Tankstelle. Die Befürchtung von gestern, der Sprit könnte nicht reichen, hat sich Gottseidank nicht bewahrheitet. Für die heutigen 50 km haben wir knapp 6 Stunden benötigt. Was für ein Trip!

Bis zum Camping in der Nähe von Kyzyl-Suu sind es noch 50 km. Ich fahre hinter Vincent, Roland am Schluss. Als wir durch einen Ort fahren, werden Vincent und ich von der der Polizei rausgewunken – zurecht. Wir waren etwas zu schnell. So ein Mist. Die Polizei hier ist äußerst korrupt und bekannt dafür, auch gern Radargeräte zu manipulieren, um mehr abzukassieren. Ich ziehe Helm und Jacke aus, gehe zum Polizeiauto. Normalerweise versuche ich in einer solchen Situation die Frauenkarte zu spielen, heute ist es eher die Mitleidsnummer mit meinen wild-zerzausten Haaren und verschmutzen Klamotten. Und besonders gut rieche ich auch nicht mehr. Der eine Polizist schaut mich an, sagt irgendwas von Tourist und winkt mich weiter. Der andere reibt seinen Daumen und Zeigefinger aneinander. Geld? Sicher nicht. Ich zucke mit den Schultern, drehe mich um und gehe einfach. Vincent ebenfalls. Wir werden nicht zurück gepfiffen. Nochmal Glück gehabt.

Es ist heiss am See, fast 30°C. Heute Morgen sind wir in den kalten Bergen gestartet jetzt schwitzen wir. Ich fühle mich langsam unwohl, will endlich irgendwo ankommen, meine dreckigen Klamotten loswerden und duschen. In Kyzyl-Suu biegen wir von der Hauptstraße ab. Es folgen 20 km Arschbrett mit Sand. Das darf doch wohl nicht wahr sein. Meine Nerven liegen blank und Roland steht es auch schon bis zum Hals. Zu allem Überfluss finden wir den Campingplatz nicht und keiner kann uns helfen. Ich bin kurz vor dem Durchdrehen. Ein junger Kirgise spricht Englisch und er empfiehlt uns das Natali Resort in 3 km. Ein Resort. Mir ist inzwischen alles egal. Wir fahren weitere 3 km Arschbrett. Als wir gerade mit der Dame am Eingang versuchen zu verhandeln, die kein Wort Englisch spricht, kommt ein Mann auf uns zu. Sein Name ist Sergej, er ist Deutsch-Russe und lebt in Bielefeld. Sergej macht uns bei der Dame 2 Zimmer klar. Ihn hat der Himmel geschickt!

Unser Doppelzimmer kostet 27$/Nacht. Was für ein Schnäppchen. Wir checken ein und keine 5 Minuten später stehe ich unter der warmen Dusche. Endlich Haare waschen, frische Kleidung anziehen und zum Abendessen gibt es Pizza. Was für ein Kontrast, aber zum Glück kann ich beides genießen: das wilde Leben in den Bergen und Komfort im Resort.

Eine Nacht auf dem Jailoo

Die Nacht war kalt. Um die 0°C sagt Vincent. Ich hab nicht gefroren, aber die beiden Männer. Ich hatte mich vor der Reise ausführlich über Schlafsäcke informiert und dann einen aus Daune bis -1°C Komfort gewählt. Daune benötigt etwas mehr Pflege als Kunstfaser, wärmt aber besser und ist auch vom Packmass her kleiner. Mein Schlafsack bekommt von mir die volle Punktzahl.

Wir haben unsere Zelte ziemlich weit weg vom See aufgestellt. Das hatten wir gestern bei unsere Ankunft nicht richtig einschätzen können. Lieber zu weit weg als morgens im Wasser aufwachen denke ich mir. Und der Blick ist trotzdem schön!

Unser Frühstück ist gigantisch, da wir in Naryn eingekauft hatten. Kaffee, Tee, Saft, Brot, Aprikosen, Tomaten, Gurken, Käse, Joghurt. Entsprechend lang sitzen wir und diskutieren über die Route, die wir zum Issykul fahren. Ich hab auf der Karte eine Straße entdeckt, die zuerst östlich verläuft, an einem 4.000er Gipfel vorbei und dann nach Norden zum See führt. Diese Route wird es. Es sind gut 250 km, d.h. wir sollten irgendwo vorher tanken, denn unser Sprit inkl. Kanister reicht noch für ca. 220-250km meint Roland…

Wir nehmen vom See weg den Kalmak-Pass und fahren dann ein Stück auf der A365 bis zum nächsten Ort Sarybulak. Leider gibt es hier keine Tankstelle. Man sagt uns, wir müssten zurück nach Naryn, da auf unserer Route nichts mehr kommt. Gar nichts mehr. Naryn wäre ein Umweg von 70km, worauf wir echt keine Lust haben. Also Risiko. Wir sind zu dritt, wenn einem von uns der Sprit ausgeht, finden wir schon irgendwie eine Lösung.

Der Track ist ein Traum. Endurowandern vom Feinsten. Auf einem fest gefahrenen Feldweg überqueren wir einen Berg nach dem anderen, immer wieder sehen wir große Herden Pferde, Schafe und Ziegen auf den grünen Hängen. Kühe stehen selten auf den Wiesen, meistens tauchen sie urplötzlich hinter einer Kurve auf unserer Fahrspur auf und gehen auch nur sehr ungern auf die Seite. Euter voraus! warnen wir uns dann durch die Helmkommunikation

Wir halten oft, genießen den Ausblick auf die umliegenden Berge und machen Fotos. An einem klaren Gebirgsbach füllen wir unsere Wasserflaschen auf. Gegen Spätnachmittag wird der Track schwieriger. Steil und steinig mit ein paar Wasserdurchfahrten. Dann wird er zu einer schmalen Serpentinenstraße mit viel Schotter, die immer weiter den Berg hinauf führt. Ich übernehme die Führung, es fällt mir leichter die richtige Spur zu finden, wenn ich voraus fahre.

Aus Endurowandern wird Endurobergsteigen. Der Track wird immer heftiger und wir kommen nur langsam voran, müssen die Bikes durch Passagen voller Geröll manövrieren. Rechts neben uns Gletscher. Wir sind bereits auf über 3.000m. Es dämmert. Noch 60 km bis zum Issykul. Es ist anstrengend. Zuerst schmeissst es mich, dann Vincent. Es ist nichts passiert, aber ich merke, wie Kraft und Konzentration nachlassen. Für die letzten 10 km haben wir fast eine Stunde gebraucht.

Es ist bereits dunkel, als wir an zwei Jurten vorbei fahren. Der Track führt durch den Fluss unterhalb der Jurten. Ich fahre langsam und mit Fernlicht durch matschige Furchen den Hang hinunter. Unten ankommen ist uns allen sofort klar, dass wir diesen Fluss heute nicht überqueren. Wir leuchten ihn mit unseren Bikes ab. Er ist zu tief und das Ufer fällt zu steil ab. Roland läuft ein Stück flussabwärts und sucht mit der Taschenlampe einen Weg, findet aber nichts. Wir müssen für heute aufgeben und wollen gerade weiter oben einen Platz für die Zelte suchen, als uns zwei Männer entgegen kommen. Sie sprechen kein Englisch aber deuten uns, wir sollen hoch zur Jurte kommen. Gedankenübertragung. Mit letzter Kraft prügel ich Zicki nach oben. An der Jurte empfangen uns eine Frau, zwei Kinder und 4 Hunde. Unsere Zelte sollen wir nicht aufbauen, die Männer meinen es regnet heute Nacht. Wir sollen mit ihnen zusammen in der Jurte schlafen. Ich wehre mich nicht. Hauptsache irgendwo schlafen.

Kaum in der Jurte, macht uns Gibek, die junge Frau, Abendessen. Salat, Brot, frische Butter aus Kuhmilch, eine Marmelade aus Aprikosen und natürlich Cay. Wir essen zusammen mit ihr und den Kindern am Tisch in der Mitte der Jurte, die Männer sitzen etwas entfernt am Eingang. Die Kinder, das sind Began der 9jährige Sohn und die 1,5 Jahre alte Aitunuk. Gibeks Mann heisst Ulan, der andere Taku. Sie sind Halbnomaden, d.h. sie leben den Sommer über von Juni bis September hier oben in den Bergen auf der Sommerweide – genannt „Jailoo“ auf kirgisisch.

Wir verständigen uns mit Händen und Füßen aber wie immer klappt das ganz gut. Vincent zeigt ihnen Bilder von Italien und Frankreich an seinem iPad, dann essen die Männer. Ulan holt einen Teller von der Kommode, darauf ein gekochter und halb abgefressener Schafschädel. Ich versuche meine Mimik zu beherrschen. Ulan nimmt ein Messer, schneidet Fleisch ab und gibt es Vincent. Würg. Kalter Schafskopf wie ekelhaft. Vincent macht auch kein allzu begeistertes Gesicht, isst aber tapfer. Als Ulan mir ein Stück anbietet, lehne ich dankend aber bestimmt ab. Keine 10 kirgisischen Pferde bringen mich dazu, sowas aus Höflichkeit zu essen.

Roland und ich gehen draußen Zähne putzen. Es ist finster, kein Mond ist zu sehen aber unglaublich viele Sterne und die Milchstraße. Roland nuschelt mit Zahnbürste im Mund: Ich zeig dir was, aber erschrick nicht. Er leuchtet mit der Stirnlampe schnell nach links und sagt: „Somebody is watching you.“ Mindestens 200 Schafaugen sind auf uns gerichtet. Keine 5 m entfernt von uns ist eine riesige Herde. Ich lache und verpruste dabei etwas Zahnpasta. Die Schafe hatte ich noch gar nicht bemerkt.

Als wir in die Jurte zurück kommen, hat Gibek den Tisch weggeräumt und die Matten zum Schlafen ausgelegt. Ich liege ganz links außen, neben mir Roland, dann Vincent. Es folgen die Kinder und die Männer. Als wir alle auf den Matten liegen, bereitet Gibek noch schnell einen Brotteig vor, sie verknetet dazu Mehl und Wasser in einer Plastikschüssel und legt eine andere darüber. Der gute Hefeteig. Dann legt sie sich ebenfalls auf die Matte, ihr Mann Ulan schaltet das Licht aus und wir sagen uns alle good night.

Obwohl ich hundemüde bin, kann ich lange nicht einschlafen. Zu viele Gedanken schwirren in meinem Kopf. Was für ein verrückter Tag. Die anstrengende Fahrt, die großartige Landschaft und am Ende die volle Dröhnung kirgisischen Nomadenlebens. Immer wieder bellen die vier Hunde lautstark und laufen los. Irgendwann höre ich auch ein Pferd wiehern. Zugern würde ich sehen, was genau draußen los ist. Es ist bereits nach 2 Uhr als ich zum letzten Mal auf mein Handy sehe.

Über Tash Rabat zum Songköl See

Heute Morgen gibt’s nur Kaffee. Wir hatten gestern keine Gelegenheit mehr Brot einzukaufen. Bleibt mehr Zeit für die Reparatur. Roland montiert den rechten Spiegelfuß auf die demolierte linke Seite und der linke Protektor wird rechts mit Draht befestigt. Sobald wir wieder in einer größeren Stadt mit Basar sind, will Roland den Tankrucksack nähen lassen. Für die nächsten Tage muss Klebeband ausreichen.

Wir setzen unseren Weg auf der Arschbrettstraße (sorry Mama für den Ausdruck) fort. Das kann einem ganz schön die Stimmung verhageln, vor allem wenn man nichts zum Frühstück hatte. In dem nächstgrößeren Ort Baetov halten wir daher an einem  kleinen Laden an und kaufen Brot, Käse, Trinkjoghurt und Kekse. Während wir frühstücken, checkt Roland den Luftdruck von seinem Hinterreifen, irgendwie fährt sein Bike komisch meint er. Und tatsächlich, der Reifen verliert ordentlich Luft. Da ich keine Zeit verlieren möchte, frage ich die Taxifahrer am Eck, ob man hier einen Reifen reparieren kann. Wie? Ich zeige auf den Reifen, mache ein Pffffft Geräusch und sage „Reparatur“. Sie verstehen was ich meine. Sofort stehen fünf, sechs Mann um Rolands Bike, tasten den Reifen ab und reden wild durcheinander. Dann meinen sie, dass es eine „Reparatur“ hier im Ort gibt, aber der Typ ist zu Mittag (Arme bilden zuerst ein X, dann wird symbolisch Essen in den Mund geschoben. Das Zeichen kennen wir schon, gibt es als Variante auch mit „Beten“  statt „Essen“). Wir besprechen uns mit Vincent, er kann gern vorfahren nach Tash Rabat und wir treffen uns dann auf dem Rückweg zum Song-Kul See. Er verneint, er bleibt lieber bei uns und wir fahren später zusammen, wenn der Reifen repariert ist. Vincent hat wirklich eine Engelsgeduld. Davon könnte ich mir eine Scheibe abschneiden.

Die Männer sind zurück und kippen Wasser über den Reifen und suchen nach dem Loch. Roland weiß gar nicht wie ihm geschieht und es tut mir fast ein bisschen leid, dass ich mich eingemischt habe und jetzt Wildfremde an seinem Bike rumdoktern. Aber er lässt es über sich ergehen und rollt das Bike vor und zurück, damit die Männer den gesamten Reifen abtasten können. Als sie wieder Wasser holen, wage ich mich auch mal ran. Ich halte mein Ohr an den Reifen und höre sofort das Geräusch von entweichender Luft. Ein Stück vor sage ich und finde das Loch mit dem Stein drin. Freude ist vielleicht das falsche Wort in diesem Zusammenhang aber irgendwie „freut“ es mich, dass ich das Loch entdeckt habe. Ich packe unser Reparatur-Set aus. Einer der Männer nimmt es sofort an sich, drückt die Kautschuk-Wurst mit dem Werkzeug in das Loch und verklebt es. Zack erledigt. Roland füllt mit dem Airman Luft nach. Der Reifen hält. Wir können weiterfahren, was für ein Glück!

Unser erstes Ziel ist heute Tash Rabat, die Karawanserei aus dem 15. Jahrhundert. Die Route, die Vincent ausgewählt hat, ist fantastisch. Wir fahren wieder abseits der geteerten Straßen und außer ein paar wenigen Jeeps und zwei Bikern aus Italien treffen wir auf keine Menschen. Das Wetter ist perfekt, nicht zu heiß aber schön sonnig. Die Wasserdurchfahrten, die auf dem Track liegen sind easy machbar – ich möchte mir nicht vorstellen, wie die Flüsse hier aussehen, wenn es mal ein paar Tage geregnet hat.

Der Pass, den wir überqueren liegt wieder auf über 3.000m. Kurz danach erreichen wir Tash Rabat. Oha. Was für ein Menschenauflauf. Ziemlich ungewöhnlich. Ein Reisebus steht auf dem Parkplatz. Eine Gruppe koreanischer Touristen hat sich die Karawanserei angesehen und steht jetzt am einzigen Souvenierstand. Wir unterhalten uns kurz mit einem Koreaner, bevor der Reisebus wieder abfährt. Jetzt sind wir wieder alleine hier. So mag ich das. Vincent und ich sehen uns die historische Stätte an, Roland möchte nicht. Tash Rabat unterscheidet sich in zwei wesentlichen Punkten von allen anderen Karawansereien, die ich bisher gesehen habe: Sie ist erstens nicht aus Lehm sondern Stein und ist zweitens deswegen unglaublich gut erhalten.

Lange halten wir uns allerdings nicht dort auf, wir haben noch knapp 250 km vor uns und ja, wen wundert’s, uns läuft mal wieder die Zeit davon. Die Reifenreparatur hat uns über eine Stunde gekostet. Es ist 18 Uhr, als wir in Tash Rabat wieder Richtung Norden aufbrechen. Zwar auf Asphalt, aber trotzdem brauchen wir über zwei Stunden, bis wir nach Naryn zur Abzweigung gelangen, die uns wieder in die Berge und auf einen Offroad Track Richtung Songköl, zum zweitgrößten Bergsee Kirgisistans, bringt. Der Track wäre ein Traum, wenn ich was sehen würde. Es ist finstere Nacht, als wir die 33 Haarnadelkurven und den über 3.500m hohen Pass erklimmen. Die Straße ist eng und steinig, ich muss mich höllisch konzentrieren, nicht auf einen Felsen oder noch schlimmer den Abhang runter zu fahren. Ich schwitze und fluche und bereite Roland darauf vor, dass ich heute NICHT mehr kochen werde. Hunger hin und her.

Noch später als gestern erreichen wir unser Ziel. Der Songköl liegt auf 3.000 m. Es hat 4,5°C. Zum Glück habe ich mir vor der Reise einen warmen Daunenschlafsack und eine isolierende Daunen-Isomatte gekauft. Wir bauen unsere Zelte auf, ich putze Zähne und lege mich sofort in meinen warmen Schlafsack. Vincent und Roland kochen sich noch eine Suppe und trinken ein wohlverdientes Arpa (kirgisische Biersorte). Ich schlafe bereits tief und fest, als Roland später ins Zelt krabbelt.

Spaghetti um Mitternacht

Ganz im Süden, direkt an der chinesischen Grenze liegt der kleine See Chatyr-Kul und in der Nähe auf 3.000m die Karawanserei Tash Rabat aus dem dem 15. Jahrhundert. Vincent schlägt vor, dass wir zuerst zur Karawanserei fahren und dann am See Zelten. Es sind 400 km. Das wird ein langer Tag.

Wir fahren zuerst ein Stück Richtung Osh zurück und biegen nach ca. 50km von der Asphalt Straße nach Osten ab. Ab jetzt bewegen wir uns nur noch offroad. Die breite Pass-Straße windet sich in langen Kurven um den Berg und auf der gegenüberliegenden Seite des Berges sehen wir den ersten Schnee.

Die Landschaft ist ganz anders als in Tadjikistan. Statt schroffen, grauen Felsen sieht man in Kirgisistan grüne und mal braune Bergketten, die sich unendlich weit erstrecken. Über 90% des Landes liegen über 1.500m, das heisst man befindet sich quasi immer in den Bergen. Nahezu perfekt – leider sind die Straßen oft ein Albtraum. So auch diese hier. Arschbrett sagen Roland und ich dazu. Hartes Waschbrett mit feinstem Kies. Man wird unendlich durchgerüttelt und eingestaubt.

Als wir den Pass auf 3.300m überqueren ist es kurz vor 17 Uhr und es beginnt zu dämmern. Noch liegen über 200 km und ein 2. Pass vor uns. Wenn die Straße genauso weiter verläuft, schaffen wir es nie und nimmer bis zum See. Es bleibt beim Arschbrett und wir quälen uns weiter. Kilometer für Kilometer. Vincent fährt voraus, ich in der Mitte. Plötzlich höre ich Roland schreien. Nein, scheiße nein! gefolgt von einem lauten Ahhhhhhh! Er ist gestürzt. Ich drehe hektisch um. Roland steht schon wieder neben seinem Bike, ich will wieder umdrehen, um in der richtigen Fahrtrichtung zu stehen und zack – jetzt liege ich auch. Zwischen den beiden Fahrbahnen wurde eine Begrenzung aus Kies und Steinen aufgeschüttet, die an dieser Stelle so hoch ist, dass ich einfach stecken geblieben bin. Roland ist es ähnlich ergangen, er ist mit dem Vorderrad über die Begrenzung gekommen und das Hinterrad blieb auf der anderen Fahrspur. Wir haben das beide in der Dämmerung und mit den verstaubten Visieren schlichtweg übersehen. Blöder Fehler. Roland und seine nineT hat es ein bisschen mehr erwischt. Der linke Handprotektor ist abgerissen weil der Fuss vom Spiel abgebrochen ist. Außerdem hat sie diverse Kratzspuren an Windschild und Verkleidung und der Tankrucksack ist aufgerissen. Roland selbst hat sich vermutlich die Rippen ein bisschen geprellt und der Ellbogen tut ihm weh. Zum Glück nichts Ernstes. Ich gebe ihm trotzdem Arnica Globuli. Wir stecken die losen Teile ein, Roland klebt den Tankrucksack mit Klebeband zu und wir fahren weiter.

Es wird immer später und ist bereits stockdunkel. Ich bin müde und genervt, weil wir einen schönen Pass fahren aber nichts von der Landschaft sehen und Rolands Stimmung ist aus gegebenem Anlass auch nicht die Beste. Wir besprechen uns mit Vincent und auch ihm ist klar, dass wir es nicht zum See schaffen werden. Also suchen wir ab jetzt irgendwo auf der Strecke einen Platz zum Übernachten. Vincent entdeckt irgendwann einen kleinen Feldweg, der zu einem verlassenen Haus mit Stall führt. Dort bauen wir im Dunkeln die Zelte auf und kochen. Es geht doch nichts über eine ordentliche Portion Spaghetti um Mitternacht, während über einem Millionen von Sterne funkeln. Ein schöner Abschluss für einen anstrengenden Tag. Zufrieden gehen wir drei ins Bett.