Taschkent

Taschkent ist die Hauptstadt Usbekistans und hat fast 2.5 Millionen Einwohner – nicht nur Usbeken sondern auch Turkmenen, Kirgisen, Tajiken und sehr viele Nachfahren von Koreanern, die in den 30ern von Stalin umgesiedelt wurden, leben hier.

Taschkent ist eine moderne Großstadt, in der das Erbe der Sowjet-Zeit noch präsent ist: ewig lange und breite Straßen führen durch die Stadt, man entdeckt hier und da noch Plattenbausiedlungen und quasi an jeder Ecke steht ein Kriegsdenkmal oder eine sozialistische Arbeiterstatue. Wir haben uns ein paar dieser Sehenswürdigkeiten herausgesucht und natürlich möchte Roland auch wieder zum Basar.

Unser erster Stopp ist das Mahnmal, das an das verheerende Erdbeben von 1966 erinnert. 300.000 Menschen wurden obdachlos – fast 1/3 der damals in Taschkent lebenden Einwohner. Das Mahnmal zeigt Vater, Mutter und das kleine Kind in der Hand der Mutter, außerdem sind Datum, Uhrzeit und die Stärke des Erdbebens: 7,5 abgebildet.

Danach laufen wir zum Amir Timur Platz, direkt dahinter steht unübersehbar das Hotel Uzbekistan – ein Paradebeispiel für sowjetische Architektur der 70er Jahre. Monströs nach außen und pompös innen.

Von hier aus nehmen wir die Metro zum Basar. Die Metro wurde 1977 eröffnet und ist damit die erste Zentralasiens. Sie erinnert mich stark an die Moskauer Metro. Alle Stationen sind wunderschön und prunkvoll gestaltet, mit viel Marmor und Stuck. Fotografieren ist leider strengstens verboten, da die Schächte auch als Atomschutzbunker genutzt werden können. Am Eingang, im Zwischengeschoss und auf dem Bahnsteig stehen Sicherheitsbeamte, ich wage trotzdem ein Foto an der Station Kosmonavtlar, die hauptsächlich dem aus Taschkent stammenden Kosmonauten Vladimir Dzhanibekov gewidmet ist. Neben ihm sind weitere Kosmonauten abgebildet. U.a. Yuri Gagarin und Valentina Tereshkova, die 1963 als erste Frau in den Weltraum flog.

Wir fahren weiter bis zu Station Chorsu, hier befindet sich der Basar. Der Basar besteht aus mehreren Gebäuden und in dem schönsten, dem Rundbau, gibt es vor allem Fleisch. Hier halte ich es nur kurz aus. Ich kaufe lieber draußen ein bisschen Obst und Nüsse ein. Dann nehmen wir wieder die Metro zum Hauptbahnhof. Dahinter befindet sich auf alten Gleisen ein Freilichtmuseum für Eisenbahntechnik mit über 30 Dampf- und Elektrolokomotiven und Wägen. Die älteste Lok ist von 1914. Roland mutiert zu einem „Sheldon Cooper“ und klettert aufgeregt auf die Loks und in die Führerhäuschen.

In der Nähe des Hauptbahnhofs liegt das koreanische Viertel und da es bereits nach 20 Uhr ist, möchten wir hier zu Abend essen. Unser Reiseführer empfiehlt das Restaurant „Mannam“. Die Kellnerinnen sprechen kein einziges Wort Englisch und wir kein Russisch außer „niet mjersa“ was „kein Fleisch“ heißt. Ich bestelle, was laut Reiseführer hier super schmeckt, die kalte Sommersuppe und natürlich Kimchi. Für Roland irgendwas mit „mjersa“ also Fleisch. Und was soll ich sagen, es schmeckt hervorragend. Phänomenal. Grossartig. Ich könnte mich in die Suppe reinsetzen, so lecker ist sie. Nudeln, viel Gemüse, Sesam und leckerste Gewürze machen die Suppe zu einem süsslich und leicht sauren Genuss. Ich musste 17.500 km fahren, um in Usbekistan das erste Mal in meinem Leben koreanisch zu essen. Hat sich gelohnt.

Im Reiseführer steht, dass die Metro bis 24 Uhr fährt. Unsere Linie, die grüne, leider nicht. Um 23.30 ist Schluss und wir müssen ab Oybek mit dem Taxi weiter. Also keinem echten Taxi. In Usbekistan nimmt einen quasi jeder für ein paar Som mit. Es dauert keine 5 Minuten bis ein Auto anhält und uns für umgerechnet 2€ ins Hotel fährt. Der Tag war unglaublich schön und ereignisreich und ich bin ein bisschen traurig, dass wir morgen Usbekistan bereits wieder verlassen.

Eine schlechte und eine gute Nachricht

Wenn du morgens das Zelt aufmachst, und dich eine Kuh anschaut. Unbezahlbar. Nach dem Frühstück gehen wir baden, also uns waschen, packen zusammen und fahren los. Entweder schaffen wir es heute über die Grenze nach Usbekistan oder wir bleiben noch mal eine Nacht in Kirgisistan.

Auch heute ist es mit 37°C wieder heiß. Was waren das doch für angenehme Temperaturen in den Bergen.
Nach einigen Kilometern passieren wir die Toktogul Talsperre, die größte in Kirgisistan. Die Nutzung des Wassers und ist seit vielen Jahrzehnten ein grosser Streitpunkt zwischen Usbekistan und Kirgisistan, immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Staaten obwohl eigentlich eine klare Vereinbarung besteht.

Im Ort Taschkomür entscheiden wir, dass wir heute noch mal in Kirgisistan zelten und erst morgen ganz gemütlich über die Grenze fahren. Nachdem wir unsere Vorräte eingekauft haben, suchen wir uns einen Platz am Fluss Naryn und finden eine Stelle unter einem Baum neben einem bewirtschafteten Strandabschnitt. Der Fluss selbst lädt nicht zu einem ausgebiegigen Bad ein, er ist trüb von Sand und Schlamm. Roland hat die Idee, dass wir uns mit den Stühlen ins Wasser setzen und dort unser Bier trinken. Mallorca Pauschaltourismus lässt grüßen. Gerade als wir das zweite Bier öffnen, kommt ein Mann zu uns. Er sagt, dass ihm das Restaurant drüben gehört und wir dort essen und auch campen können. Hier wo wir jetzt stehen, ist es nicht sicher. Aha. Wir sehen ihn neugierig an. Die Polizei hätte den Abschnitt hier gesperrt. Weil… Er macht eine Pause… hier gestern jemand gestorben ist. Roland und ich sehen uns an. Wir müssen beide ein Lachen unterdrücken. Interessante Geschäftsmethoden. Ich glaube ihm zum Glück kein Wort. Wir sagen, dass wir später vielleicht zum Essen rüber kommen und er geht wieder.

Von den Bier ein bisschen abgedüdelt, bekommen wir Hunger aber ich bin zu faul zu kochen. Also gehen wir doch rüber. Der Mann ist gerade nicht da aber seine Frau nimmt unsere Bestellung entgegen. 1x Fish&Chips und für mich Chips&Gemüse. Dauert ca. 1 Stunde weil alles frisch zubereitet wird. Auch die Chips, hauchdünn geschnittene und frittierte Kartoffelscheiben. Es schmeckt vorzüglich.

Wir unterhalten uns mit dem Mann über unsere Reise und erzählen, dass wir morgen in Uchkorgan über die Grenze nach Usbekistan fahren. Das geht nicht sagt er. Die Grenze ist nur für Einheimische. Wie bitte? Das kann ja wohl nicht wahr sein. Und jetzt? Wo müssen wir dann hin? Wir sind leicht genervt. 240km weiter nach Osh meint er. Roland und ich gucken uns an. Osh! Zu Stas und Anastassia? Ach, das ist ja super. Der kleine Umweg von 240km ist plötzlich kein Problem, zu den beiden fahren wie gern wieder hin. Zumal Roland sowieso die Halterung an seinem Scheinwerfer schweißen muss und er genau weiß, wo er das in Osh machen lassen kann.

Wir trinken noch zwei Arpa Bier im Sonnenuntergang. Der Mond geht auf, verschwindet aber auch gleich wieder. Das ist mir in Tajikistan auch schon aufgefallen. Ab halb 11 ungefähr sieht man nur noch Sterne am Himmel.

Der Toktogul See

Ich bin für meine Verhältnisse früh wach. Noch vor 8 Uhr sitze ich im Fluss und wasche meine Haare und den Rest im eiskalten Wasser. Brainfreeze inklusive.

Danach wecke ich Roland auf und setze mich vor unser Zelt und lasse die Haare trocknen. Einer der Jungs kommt vorbei, es ist der kleinste von den Dreien. Ich schaue auf mein Handy, es ist 9 Uhr. Oha der ist aber früh dran. 10 Uhr was ausgemacht. Er gibt mir zwei Tüten, in der einen sind zwei große Fladenbrote, in der anderen mindesten 20 kleine Äpfel. Ich geb ihm das Geld, wir verabschieden uns und er geht. 10 Minuten später steht er mit einem Glas Honig vor uns. Herrgott, geht das heute wieder los? Vermutlich schicken ihn seine Eltern, verkauf an die verrückten Touristen auf unserer Wiese so viel wie geht! Da wir gestern schon 1kg Honig gekauft haben, muss ich ablehnen, auch wenn er mir ein bisschen leid tut.

Roland schicke ich an den Fluss zum Waschen, während ich Kaffee koche. Wir frühstücken, als der ältere Junge von gestern auftaucht. In der Hand eine Tüte mit zwei Fladenbroten. Ne oder? Dieser kleine Schlawiner von 9 Uhr. Er hat seinen Kumpel ausgetrickst und uns einfach früher die Brote gebracht und das Geld alleine kassiert. Chapeau! Ich bringe es aber nicht übers Herz, ihn und seine Brote ohne Bezahlung wegzuschicken. Ich nehme eines und er bekommt 1$. Da ich merke, dass er nicht ganz happy ist, zeige auf die beiden Brote vor mir, sage Sorry und zucke mit den Schultern.

Der Honig ist unglaublich lecker, aber trotzdem schaffen wir gerademal die Hälfte von einem Brot. Die restlichen Brote packe ich ganz unten in mein Bag und ich hoffe, dass sie bis heute Abend durchhalten.

Roland hat die Idee, den Honig in eine 1l Wasserflasche zu füllen, so lässt er sich viel sicherer transportieren als in dem Glas mit dem windigen Deckel. Endlich kommt der kleine Trichter zum Einsatz und Roland füllt den Honig erfolgreich um.

Bei strahlendem Sonnenschein setzen wir unsere Fahrt Richtung Toktogul fort. Wie gestern führt er durch saftig grüne Wiesen. Wir machen kaum Höhenmeter, bleiben immer auf ca. 1.900m und bis auf ein paar anspruchsvolle Passagen zu Beginn ist der Track easy fahrbar. Ein breiter Feldweg, der sich um einen Berg nach dem anderen schlängelt.

Am Nachmittag haben wir die Berge des Suusamyrtoo durchfahren. Ab jetzt geht es auf Asphalt weiter. Die Landschaft wird trockener und es ist ziemlich warm, um die 35°C. Die Straße schlängelt sich durch dunkelbraune Berge und recht bald sehen wir zum ersten mal den Toktogul See. Die Kombination aus der erdigen Landschaft und dem tiefblauen Wasser ist gigantisch. Wir umfahren den See von Ost nach West und finden auf der Westseite ein kleines Restaurant. Roland hat Lust auf Fisch. Wir parken unsere Bikes und sehen zwei GS, die sich hinter einem LKW versteckt hatten. Prima, dann sind wir hier genau richtig. Wir betreten die Terrasse und der Blick auf den See haut uns fast um. Wir setzen uns an einen Tisch, außer den beiden GS Fahrern und uns gibt es keine weiteren Gäste. Der eine Fahrer hilft uns gleich bei der Bestellung, da er Russisch spricht. Die beiden kommen aus Sofia. Der eine sieht aus wie ein Model aus dem Feuerwehrmann Kalender. Groß und muskulös, dunkles volles Haar, blaue Augen, perfekt kontuierter Bart. Der andere hat eine ähnliche muskulöse Statur, trägt einen wilden 5-Tage-Bart und ein Military Bandana auf dem Kopf. Der könnte eine Nebenrolle in einem Rambo Film spielen. Beide machen aber ganz was anderes, sie sind Zahnärzte. Ich fasse es nicht. Sie erzählen, dass sie in Tajikistan jemandem einen kaputten Zahn gezogen haben. Mit Narkose. Patient lebt noch, meinen sie und lachen. Unser Essen kommt, Roland hat eine gebratene Lachsforelle aus dem See und ich… Salat. Die beiden Jungs verabschieden sich und wir genießen unser Essen mit Blick auf den See.

Die Suche nach einem Zeltplatz am See ist nicht ganz so einfach, da es kaum sichtbare Zugänge zum Ufer gibt. Als wir endlich einen Weg hinunter finden, stehen am Strand bereits drei Autos mit Familien. Und zwar direkt am Strand, keinen halben Meter vom Wasser entfernt. Wir parken etwas oberhalb auf der Wiese und warten noch etwas mit dem Zelt-Aufbauen. Die Familien packen nach und nach zusammen und steigen in die Autos. In einen normalen Pkw quetschen sich 9 Personen, 4 Erwachsene und 5 Kinder. Unfassbar.

Als wir endlich alleine sind, bauen wir das Zelt auf, setzen uns in die Stühle und trinken unser zum Glück noch kaltes Bier, während wir den Sonnenuntergang beobachten. Allerdings sind wir nicht lange alleine. Kühe machen ihren Abendspaziergang am Ufer und fressen die Reste der Wassermelonen, die die Familien am Strand liegen gelassen haben. Na hoffentlich gibt das morgen keine rosa Milch…

Eine weitere Nacht unter freiem Himmel

Wir haben die Gewitternacht heil überstanden. Es hat aufgehört zu regnen, es weht nur noch ein kräftiger Wind, der den sonst so ruhigen Yssykköl aufwühlt. Wellen schlagen ans Ufer wie am Meer.

Wir packen zusammen und frühstücken, als es doch wieder anfängt zu regnen. Also legen wir unseren Regenkombi zurecht, frühstücken zu Ende, bauen das Zelt ab und beladen die Bikes.

Gute zwei Stunden fahren wir im Regen, zuerst am See entlang bis zu seinem westlichen Ende und dann über eine kaum befahrene Offroad Strecke, die über die malerische Ortotokoi Talsperre führt. Hier knacken wir die 16.000 km und ich werfe mich zur Feier des Tages in meinen Bikini (Foto folgt). Die weitere Route führt nördlich am Songköl vorbei, eine Bergkette versperrt allerdings die Sicht auf den See.

Rolands Bike sieht mittlerweile aus, als wäre er im Obi durch die Haushaltswaren-Abteilung gefahren und die hatten grad eine Laura Ashley  Sonderedition im Verkauf. Am linken Bag hängen ein türkisfarbener Trichter, eine pinke Bürste und ein orangefarbener Lappen. Ich bin gespannt, was er als nächstes hin hängt.

In einem kleinen Dorf kaufen wir unsere Vorräte für das Abendessen ein und ich fasse es nicht, als die Verkäuferin zu einem Abacus greift, um die Lebensmittel zusammen zu zählen. Kassen sieht man hier eh nie außer in den großen Supermärkten. Alle kleinen Läden benutzen einen Taschenrechner. Aber ein Abacus?

Der Abacus wurde vor Tausenden von Jahren vermutlich in Zentralasien erfunden. Die russische Version heißt Stschoty, war bis in die späten 90er Jahre weit verbreitet und wurde selbst in Postfilialen oder Ämtern so lange genutzt. Und hier in dem kleinen Bergdorf bis heute.

Gegen 19.30 Uhr suchen wir uns einen Platz zum Zelten und finden an einem Fluss das passende Fleckchen. Umringt von Bäumen kann uns niemand sehen und wir haben einen super Ausblick auf die Felsen am gegenüberliegenden Ufer. In der Dunkelheit werfen die von den Autos angeleuchteten Bäume mysteriöse Schatten an die Felsen. Hundert Milliarden Sterne funkeln am Himmel und der Fluss rauscht. Es ist mal wieder ein perfekter Abend in Kirgisistan.